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Archiv-Artikel

Brüchige historische Wahrheiten

AUSSTELLUNG Von freiheitskämpfenden Partisanen gegen Napoleon bis zu den Taliban – „Black Bandits“ im Haus am Lützowplatz spielt mit Geschichte und ihrer Konstruktion

VON ANNE-SOPHIE BALZER

Geschichte ist immer fiktiv. Sie soll dokumentieren und ist doch immer nur ein historisches Narrativ. Sie wird wie ein Bratfisch in der Pfanne paniert, gedreht und gewendet, zum Heldenmythos umgeschrieben, kontextualisiert. Und noch öfter verschwiegen. Manchmal werden ihre Zeugnisse verbrannt, um später mit viel Mühe wieder rekonstruiert zu werden. Nirgendwo ist die Geschichte so missbraucht worden wie in Deutschland.

Bei Voltaire ist sie die Lüge, auf die man sich geeinigt hat, in Nietzsches Geschichtsbild kommen nur Halunken und Bösewichte vor, die später gutgesprochen werden, und bei Oscar Wilde haben wir der Geschichte gegenüber nur eine einzige Pflicht: sie umzuschreiben.

Die Ausstellung „Black Bandits“ im Haus am Lützowplatz unterstützt diese arbiträre Haltung zu Geschichte – ohne selbst eine historische Ausstellung sein zu wollen. Topografischer Ausgangspunkt war Ludwig Adolph Wilhelm Freiherr von Lützow, Namensgeber des Platzes in Tiergarten, an dem das Kunsthaus angesiedelt ist. Wer war dieser Freiherr, fragte sich Kurator Marc Wellmann, als er vor zwei Jahren die Leitung des Hauses übernahm.

Freiherr von Lützow führte eine Freiwilligeneinheit im Kampf gegen Napoleon an. Seine Rekruten waren blutjunge Gymnasiasten und viele Intellektuelle und Künstler. Sie trugen schwarze Uniformen, schwarz-rot-goldene Flaggen, lange Haare sowie Bärte und wurden die „schwarzen Jäger“ genannt.

Das Freikorps unter Lützow kämpfte nicht nur um nationale Unabhängigkeit gegen Napoleon, der Europa mit Kriegen überzog. Sein Handeln war ebenso xenophob und antisemitisch motiviert und trug dunkle Vorboten des 20. Jahrhunderts in sich. In der frühen DDR wurden die Lützower als freiheitskämpfende Partisanen verherrlicht, in der BRD nicht weiter beachtet.

Gleich am Eingang der Ausstellung wird durch die Reproduktion eines historischen Ereignisses der Blick auf das Geschehen irritiert: Die große Leinwand des Künstlerpaars Römer + Römer zeigt die Szene eines Reenactments: 200 Jahre nach dem Einzug Napoleons durch das Brandenburger Tor inszenierte der Verein Historiale 2006 mit mehreren hundert Darstellern eben dieses Ereignis. Das in Ölfarben gemalte Bild in Pixelästhetik beruht auf der fotografischen Vorlage des Künstlerpaars. Gleichzeitig wird der historische Moment nicht abstrahiert, sondern das Reenactment mit all seinen Einbrüchen der Moderne in Form von Baukränen, Männern mit Fotoapparaten, den nicht kostümierten Zuschauern abgebildet. Ein historisches Ereignis wird zu einem Reenactment, wird zu einem Foto, wird zu einem Bild in Fotoästhetik. Mit jeder Transformation rückt es weiter weg von einer sowieso schon brüchigen historischen Wahrheit.

Die Leichen im Keller

In der Mitte des Raums steht Johannes Albers Arbeit „200 Jahre“: Eine gläserne Treppe mit drei Stufen. Unter ihr sammeln sich Staub, Dreck, ein Aktenordner und ein abgestürztes Miniaturflugzeug. Die Vergangenheit mit ihren Leichen im Keller bleibt dieselbe, auch wenn wir auf der Treppe der Zukunft entgegen steigen.

Auch das großflächige Ölgemälde des in Berlin lebenden Franzosen Emmanuel Bornstein sticht heraus. Seine Familiengeschichte ist eng mit der deutsch-französischen verbunden. Im Mittelpunkt von „The Kiss“ stehen seine Großeltern als ineinander verschlungenes Liebespaar. Sie kämpften als jüdisch-polnische Immigranten in der französischen Résistance, ohne ihr Überleben hätte es auch Bornstein nicht gegeben. Links im Bild ist Gestapo-Chef Klaus Barbie zu sehen, der am Brautkleid von Bornsteins Großmutter zerrt, rechts im Bild hat der Künstler eine Szene aus Goyas „Desastres de la Guerra“ abgewandelt. Unter dem Liebespaar führen Schienen ins Dunkle. Bornsteins typische schwarz-gelbe Farbpalette geben dem Gemälde eine hypnotische Kraft.

Jeanno Gaussis Arbeit „Peraan-e-Tombaan“ (Hose und Hemd), die bereits auf der Documenta 13 in deren Außenstelle Kabul gezeigt wurde, schlägt schließlich die Brücke zu modernen Milizen wie den islamistischen Taliban. Sieben Tänzer tragen traditionelle afghanische Männerkleidung mit militärischen Rangabzeichen versehen. Ein Video zeigt sie beim Tanz – eine zutiefst emanzipatorische Geste, denn tanzen war unter den Taliban verboten. Doch die Tänzer tragen Uniformen, die Freiheitssymbolik bleibt ambivalent. Eine interessante Raumanordnung durch ungewöhnliche Sichtachsen und die Arbeiten namhafter KünstlerInnen wie Jonathan Meese, Gerhard Richter oder Norbert Bisky runden die Ausstellung ab.

Sind preußische Befreiungskriege und militärische Freischärler ein gutes Ausstellungsthema in einer Zeit, in der nicht nur im Osten Deutschlands wieder nationalistische und fremdenfeindliche Gesinnungen Oberwasser bekommen? Kurator Marc Wellmann hält es da ganz mit dem Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

■ „Black Bandits“: Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 21. Juni, Eintritt frei