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Archiv-Artikel

Die Goldgräber und ihre Liebe zu Erdogan

WIRTSCHAFT Makler sein, wo Bauernland zu Bauland wird, ist auch in Istanbul eine prima Sache. Wo der große Flughafen entsteht, gibt es nun Tausende neue Jobs. Die Regierung steht hier hoch im Kurs

Höher, weiter, größer

■ Bosporusbrücke: Offiziell soll die neue integrierte Auto- und Eisenbahnbrücke noch 2015 eingeweiht werden, was aber wohl nicht zu schaffen ist. Nach der ersten (1973) und der zweiten Bosporusbrücke (1988) wird die Yavuz-Sultan-Selim den europäischen und asiatischen Teil Istanbuls im Norden verbinden. Sie wird insgesamt 1.875 m lang und 59 m breit. Die Konstruktionshöhe ist 320 m. Die beiden Gleise für den Hochgeschwindigkeitszug verlaufen in der Mitte, rechts und links wird es jeweils vier Fahrbahnen geben.

■ Großflughafen im Nordwesten: Mit einer geplanten Abfertigungskapazität von jährlich 150 Millionen Passagieren und sechs Start- und Landebahnen dürfte er alle bislang existierenden europäischen Flughäfen in den Schatten stellen.

■ Insgesamt 9.000 Hektar Fläche werden für den Airport gebraucht werden.

■ Als neues Flughafenkreuz soll er Fernost, Europa und Nord- und Südamerika miteinander verbinden. Der erste Teil soll bereits 2018 in Betrieb gehen. (jg)

ISTANBUL taz | Celal Türk lacht, als er gefragt wird, ob es denn in Arnavutköy außer ihm noch viele andere Makler gebe. „Wer ist hier denn zur Zeit nicht Makler?“, fragt er. „Gerade mit Grundstücksverkauf und Vermittlung wollen hier jetzt doch alle reich werden.“

Das Büro von Celal Türk sieht aus, als wäre er mit seinem Projekt „Reich werden“ schon ein gutes Stück vorangekommen: Hochglanzbroschüren über den zukünftigen Flughafen, die dritte Brücke, einen neuen Yachthafen und andere Zukunftsvisionen seines Präsidenten Tayyip Erdogans stapeln sich auf den Tischen für die Kundengespräche. Die Wände sind mit Computeranimationen der Zukunft tapeziert.

Celal Türk vermittelt den Verkauf von Land; nicht von kleinen Parzellen, sondern Land in Tausenden Hektar gemessen. Land, das vor ein paar Jahren mit Krüppelkiefern, Büschen und Heidekraut durchsetzt als Weidegrund für Wasserbüffel, Schafe und Ziegen genutzt wurde, geht jetzt weg wie warme Semmeln – als potenzielles Bauland für ein vielfaches seines früheren Wertes.

Investoren aus Istanbul, aber auch Araber aus den Golfstaaten, Russen und Europäer kaufen sich bei bei Celal Bey und anderen Maklern in Arnavutköy in großem Stil ein, seit vor drei Jahren die Entscheidung über den Bau des dritten Istanbuler Großflughafens in der Gegend zwischen der Istanbuler Vorstadt Arnavutköy und dem Schwarzen Meer bekannt wurde.

Beinahe über Nacht

Beinahe über Nacht wurde der unansehnliche Vorort zu einer Boomtown. Die ist zwar immer noch völlig unansehnlich, wächst aber trotzdem mit großer Geschwindigkeit, weil die Baustelle schon jetzt Tausende Arbeitsplätze bereitstellt. Auf dem Flughafen werden es später wohl auch so viele sein.

„Im Moment“, meint Celal Türk, „ist es etwas ruhiger. Die Leute warten ab, wie die Wahlen am 7. Juni ausgehen werden.“ Er und alle anderen Bewohner von Arnavutköy hoffen inständig, dass die regierende AKP ihre absolute Mehrheit behält oder sogar noch ausbaut, damit Erdogan ein Mandat für das von ihm angestrebte Präsidialsystem bekommt. „Natürlich ist Erdogan gut für die Türkei.“ Celal Türk kann schon die Frage kaum nachvollziehen. Schließlich war er vor drei Jahren noch ein schlecht bezahlter Kohlenhändler und ist dank Erdogan jetzt als Makler dabei, aus ehemals ökonomisch fast wertlosem Weideland pures Gold zu machen.

Dass dieses Land ökologisch enorm wertvoll ist und seit Jahrtausenden den Zugvögeln auf dem Weg von Europa nach Afrika als wichtiger Zwischenstopp dient, ist für die modernen Goldgräber nicht von Belang. Celal Türk: „Was denn für Vögel? Die können doch wohl woanders lang fliegen.“ Die Zerstörung der ehemaligen Wald- und Wiesenlandschaft Thrakiens zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer ist bereits jetzt unübersehbar. Um den sumpfigen Untergrund für das riesige Flughafenareal aufzufüllen und zu befestigen, werden in einem Gebiet von etwa der halben Fläche Berlins ganze Hügel abgetragen und riesige Krater ausgebaggert, um an die benötigte Ton- und Lehmerde zu kommen. Unentwegt rollen Lkws von den Tausenden Baustellen Istanbuls nach Nordwesten, um auf zunächst provisorisch angelegten Pisten Bauschutt zum Flughafengelände zu karren.

Die Makler von Arnavutköy müssen sich keine Sorgen machen. Selbst wenn die AKP bei den bevorstehenden Wahlen ihre absolute Mehrheit verlieren und eine Koalition bilden müsste, wäre die Zerstörung der Umwelt für die dritte Brücke und den dritten Flughafen schon jetzt nicht mehr umkehrbar. Jede andere Regierung würde beide Projekte weiterbauen, vielleicht in etwas reduziertem Umfang. Das Wirtschaftswachstum der ganzen Türkei hängt am Großraum Istanbul. Da sind die Wälder und Wiesen am Schwarzen Meer einfach kein Argument.

JÜRGEN GOTTSCHLICH