: Vulkan im Garten
INTERVENTION Kunst und Natur sind gar nicht so verschieden, können einander vielmehr ergänzen, erfrischen, forterzählen. Das werde auch beim zweiten „Laubenland“-Wochenende in diesem Juni im Heimgartenbund Altona wieder so sein, hofft die Initiatorin und Künstlerin Tonia Kudrass
VON PETRA SCHELLEN
Kunst im Garten – braucht man das überhaupt? Der Garten ist doch selber Kunst, ein Kunstprodukt, und das haben nicht nur die Künstler des europäischen ausgehenden Mittelalters so gemalt; man denke an Stefan Lochners „Maria im Rosenhag“ von 1450, wo der Garten als Refugium und kleines Paradies für Gottesmutter Maria fungiert.
Auch die Wüstennomaden Nordafrikas sangen Hymnen an den Garten – gerade weil er in der Wüste fehlte. Um es zu kompensieren, woben sie Teppiche, transportable Gärten, als Ersatz. In Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe hängt einer aus Persien, und die Blumen enden natürlich nicht am Rand, sondern setzen sich in die Unendlichkeit fort.
Andererseits waren Gärten immer auch Selbstversorger-Orte. Klöster und Priester hätten ohne Gärten oft nicht überleben können; was wir heute als Idyll preisen, war einst schlichte Überlebensnotwendigkeit.
Wenn es aber um den Garten und die Kunst geht, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird man Gartenarchitekt und schnippelt Busch und Baum zu Kugel, Dreieck oder sonst wie Künstlichem zurecht, wie es die absolutistischen Herrscher Frankreichs im 17. Jahrhundert taten. Oder aber man setzt die Kunst in den Garten; nun gut, die absolutistischen Könige taten beides, mit allerlei neckischen Skulpturen und Wasserspielen im bereits domestizierten Garten beziehungsweise Park, aber davon ein andermal.
Heutzutage nimmt sich das alles bescheidener aus. Da nimmt Otto Normalmensch mit dem Schrebergarten vorlieb, jenem Insignium vermeintlicher Kleinbürgerlichkeit, das der Erholung dienen soll, oft aber die Nachbarschaftsstreitigkeiten des Plattenbau-Hochhauses in den Garten überträgt.
Aber das muss nicht so sein: Es gibt auch Nicht-Kleinbürger, sogar Künstler, die sich am Schrebergarten freuen, und die Hamburgerin Tonia Kudrass ist so eine. Sie schafft kleine und große Installationen, einst viel mit Tierhäuten und Fellen, heute auch aus anderen Materialien. Sie liebt die Natur von Herzen – wohl auch, weil sie aus einer Gärtnerfamilie stammt. Um das auch im Alltag zu leben, hat sie vor ein paar Jahren im Heimgartenbund Altona einen Garten gepachtet. „Die Nachbarn dort entsprechen nicht dem Klischee des Kleingärtners“, erzählt sie. Sonst würde sie sich da auch nicht wohl fühlen.
Tonia Kudrass ist mit ihrem Garten sehr zufrieden, und das aus verschiedensten Gründen. Denn erstens habe sie den Eindruck, dass die Zeit dort langsamer vergehe. Außerdem „gibt es oft ein Glücksgefühl, von dem ich gar nicht weiß, woher es kommt“, sagt sie. „Vielleicht hat es mit der mittelalterlichen Vorstellung vom verlorenen Paradies zu tun.“ Und dann gebe es noch das Staunen – etwa über die Weiterentwicklung einer Knospe. Ein schwer zu definierender Mix aus philosophischem und naivem Staunen über die scheinbar von selbst funktionierende Natur.
Wenn man das hört, denkt man, eigentlich muss in so einen Garten gar keine Kunst mehr hinein. Aber an genau dieser Stelle wird es interessant: an der Schwelle zwischen Kunst und Natur, und die Diskussion über die Frage, ob und wie stark Kunst Natur nachahmen, verändern, veredeln kann, führen Künstler, Philosophen, Literaten schon seit Jahrhunderten.
Doch so tief griff Tonia Kudrass gar nicht in die Theoriekiste, als sie 2013 das erste künstlerische „Laubenland“-Wochenende in ihrem Schrebergarten ausrief. 15 Künstler hatte sie da in ihre Kleingarten-Parzelle geladen, um Kunst zwischen die Pflanzen zu stellen, legen, hängen; mittels Solartechnik selbst drehende Äpfel, Fotos zwischen Schilf, verfremdete Gießkannen und ein Kästchen Kakerlaken fand man da; ein kleines, feines, fast privates Labor im Grünen, ein kleiner Guckkasten.
Anlass war das 100-jährige Jubiläum der Gattung Schrebergarten, einerseits. Andererseits die Betrübnis darüber, dass Schrebergärten aus dem Stadtbild verschwinden und teurem Wohnbeton weichen. „Dem wollte ich etwas entgegensetzten, ein anderes Publikum heranziehen, die Leute für diesen Verlust der Kleingartenkultur hellhörig machen“, sagt Kudrass.
Und sie kamen: nicht nur die Künstler und ihre Bekannten, sondern auch die Pächter der Nachbargärten, die am „Laubenland“-Wochenende gleichfalls ihre Gärten für die Öffentlichkeit öffneten. Offenheit habe es viel, Kritik wenig gegeben in der Kolonie, sagt Kudrass. Und auch in diesem Jahr habe es in der Vollversammlung nur einen gegeben, der das Wochenende der Geldverschwendung bezichtigte. Diesen Anwurf habe sie mit Verweis auf den kostendeckenden Kuchenverkauf pariert, sagt Kudrass. „Und unsere drei Obfrauen sind sehr offen.“
Abermals werden also 15 Künstler ein Wochenende lang kleine Werke zwischen die Büsche stellen. Kudrass selbst will einen Vulkan schaffen – mit Hilfe einer Ultraschall-Maschine, die ganz fein stäubt. „Ob und wie ich das hinbekomme, weiß ich noch nicht, aber das ist im Schaffensprozess ja immer so.“
In der Kolonie „Hirtengrund“ – einer Unterabteilung des Heimgartenbundes Altona – wird es also ein nicht nur künstlerisches Wochenende des offenen Gartens geben; auch ein Vortrag über Schrebergärten ist geplant, und sicher schaut der eine oder andere Künstler vorbei.
Und in der Zwischenzeit kann sich der Besucher selbst erfreuen an der überraschend geringen Distanz zwischen Natur und Kunst. An der Kunst, die oft eine Weitererzählung, der Natur ist – oder genau das Gegenteil. An einer Kunst, die interveniert, für die aber niemand Bäume fällt.
Zwei autonome Zivilisationsphänomene – Garten und Kunst – werden an diesem Wochenende friedlich koexistieren, einander befruchten. Vielleicht gar ein Gesamtkunstwerk ergeben.
Laubenland: Künstlerische Interventionen im Heimgartenbund Altona: Eröffnung: 20. 6., 14 Uhr im Heimgartenbund Altona e.V. Kolonie 202 „Am Hirtengrund“ und „Mühlenweg“, Eingang Bernadottestraße 144 b.
Geöffnet 20. 6. von 10 bis 20 Uhr sowie 21. 6. von 10 bis 18 Uhr