LESERINNENBRIEFE
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Verfassungswidrige Unterversorgung

■ betr.: „Selbstzufrieden und kaltschnäuzig“, taz vom 11. 5. 15

Am besten gefiel die Überschrift, weil sie treffend das Verhalten des Sozialministeriums seit Juli 2014 kennzeichnet. Aus diesem Ministerium – abweisend gegenüber dokumentierten Gesundheitsschäden durch Text und Praxis des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), unzugänglich gegenüber ärztlichen Argumenten – soll für die Betroffenen ein Vorschlag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung kommen (die man ÄrztInnen, Sozialverbänden und Medinetzen annonciert, wenn sie sich einmischen wollen)?

Bei der insgesamt guten und differenzierten Problemdarstellung kommt die Opposition glimpflich davon. Im Oktober 2014 hatte der Sozialausschuss des Bundesrats die Abschaffung des AsylbLG vorgeschlagen. Mit der Mehrheit der rot-grün-regierten Länder wäre dies durchaus realistisch gewesen – aber die Länder haben dies abgelehnt und sich mit 500 Millionen Euro Bundesgeldern zur Flüchtlingsversorgung (2016 allenfalls als Kredit des Bundes) über den Tisch ziehen lassen. Diese Summe, mit der sich der Bund von Verantwortung freikaufte, ist zu niedrig, um nicht zu sagen: schäbig.

Geändert hat sich durch die Novellierung des AsylbLG lediglich die Zeitdauer der gesundheitlichen Unterversorgung: Nicht mehr vier Jahre, sondern 15 Monate sollen die Betroffenen unzureichend behandelt werden; zum Glück haben viele Gemeinden ein Einsehen, drücken bei normaler Krankenbehandlung ein Auge zu – und riskieren Ärger von oben.

Herr Al-Wazir (Grüne Hessen) war so blöd, sich im Bundesrat vorschicken zu lassen, um die Einigung mit dem Bund als Erfolg zu verkaufen. Die Grünen Rheinland-Pfalz trompeteten anschließend eine „Verbesserung der Gesundheitsversorgung“ heraus – aber verbessert haben sich weder Gesetz noch Anwendungspraxis. Jede Landesregierung könnte die verfassungswidrige Unterversorgung kranker Geflüchteter zu Fall bringen durch Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht – keine hat den Mumm dazu. RAINER NEEF, Medizinische Flüchtlingshilfe, Göttingen

Grüne Langeweile

■ betr.: „Grüne Mutprobe“, taz vom 7. 5. 15

Dieser Kommentar spricht mir aus der Seele! Persönlich habe ich sehr viel Verständnis, dass Robert Habeck, der in Kiel ja ein unglaublich umfangreiches Arbeitsfeld beackert – Energiewende, Atommüllverwaltung, verträgliche Landwirtschaft, Kampf gegen das Artensterben und Umwelt- und Klimaschutz –, den Einflussbereich nicht nur für diese Anliegen bundesweit ausweiten möchte.

Den aufrichtigen grünen Mitstreitern dürfte ein wenig Nachdruck gegenüber den inzwischen auch bei der grünen Partei auftretenden Aufsteigern und inzwischen auch vielen jungen Abgeordneten mit Berufspolitikerperspektive schon willkommen sein. Viele Statements grüner Bundespolitiker sind langweilig und oft kaum zu unterscheiden von Äußerungen der zunächst gefragten linken Politiker. Seit dem Green New Deal gibt es keine in der Öffentlichkeit erkennbare grüne Wirtschaftspolitik. Aus Angst vor dem Verlust deutscher Arbeitsplätze (und damit „dem Wähler“)?

Die Grünen als Triebkraft für den Zusammenhalt Europas sind auch nicht mehr erkennbar. Es gibt in Berlin viele Tabuthemen, die mutige Politiker anpacken müssten Eine Verankerung grüner Spitzenpolitiker in Betrieben, Umweltbewegungen, Bildungsinitiativen ist zu wenig erkennbar (abgesehen von Katrin Göring-Eckardt als Mitglied der EKD-Synode). Hat sich die grüne Basis mit den vielen Aufgaben und der Fleißarbeit in Kommunen, Kreisen und Ländern zu verzettelt, sodass die Kräfte für den Bund nicht mehr ausreichen? Für mich gibt es nur zu klären: Ist Robert Habeck als Stratege besser als Parteivorsitzender oder als Spitzenkandidat? DIETMAR RAUTER, Kronshagen/Kiel