Und noch einmal Netanjahu

ISRAEL Die rechtskonservativ-religiöse Koalition verfügt nur über eine Mehrheit von einer Stimme. Damit stehen dem alten und neuen Regierungschef schwierige Zeiten bevor

Nach dem Pokern bis zur letzten Minute sind weitere Erpressungen absehbar

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Eine erste Amtshandlung von Israels neuer Regierung wird die Annullierung einer Reform ihrer Vorgängerin sein. Unter der Federführung von Jair Lapid, dem scheidenden Finanzminister der Zukunftspartei, war die Regierung auf 18 Ministerien zusammengeschrumpft.

„Hunderttausende warme Mahlzeiten“ für notleidende Schüler seien mit dem so eingesparten Geld finanziert worden, rühmte sich Lapid noch im Wahlkampf. Nun brauchte Netanjahu jedoch die Sitze im Kabinett, um die ultraorthodoxen Parteien, den Sozialreformer Mosche Kachlon und den nationalreligiösen Chef der Fraktion Das jüdische Heim, Naftali Bennett, für seine Koalition zu gewinnen.

Vor allem Bennett pokerte hoch bis zur letzten Minute vor Ablauf der Frist für die Koalitionsverhandlungen in der Nacht zum Donnerstag. Nur acht Mandate hatte seine nationalreligiöse Siedlerpartei bei den Wahlen erreicht. Um das Jüdische Heim für seine Koalition zu gewinnen, musste Netanjahu das Justiz-, Erziehungs- und Landwirtschaftsministerium hergeben.

Im Likud herrscht schon jetzt Unmut über den hohen Preis, den die Partner dem Regierungschef abverlangten. Dass die kleinen Parteien so viel Macht hatten, ist dem plötzlichen Ausscheiden von Avigdor Lieberman, Chef der weltlich-nationalen Fraktion Israel ist unser Heim zu verdanken. Ganze zwei Tage vor Ablauf der Frist für die Regierungsbildung zog sich Lieberman mit dem Argument, die Koalition sei ihm „nicht nationalistisch genug“, zurück. Lieberman forderte eine Fortsetzung des Siedlungsbaus, um den er indes kaum hätte fürchten müssen.

Netanjahu war wegen Liebermans Ausscheiden auf jeden einzelnen der verbleibenden Kandidaten angewiesen, um eine knappe parlamentarische Mehrheit von 61 der 120 Sitze zu erreichen. Schon sind weitere Erpressungen im Stil des Jüdischen Heims absehbar, es sei denn, es gelingt Netanjahu, in den kommenden Wochen doch noch Partner aus dem Mitte-Links-Spektrum zu rekrutieren.

Eine große Koalition mit dem zionistischen Lager lehnte Parteichef Jizchak Herzog anfangs sehr deutlich ab. In den letzten Wochen wird es jedoch stiller um den Sozialdemokraten – und politische Analysten in Israel spekulieren doch wieder über die Möglichkeit eines Zusammengehens von Herzog und Netanjahu, mit dem Ziel, eine Neuwahl zu vermeiden.

Die Partner der jetzigen Koalition könnten schon miteinander in Streit geraten, wenn Netanjahu sein Versprechen umsetzt und die Gesetzreform rückgängig macht, die eine strafrechtliche Verfolgung von ultraorthodoxen Wehrdienstverweigerern vorsieht. Die Forderung kam von den zwei neuen ultraorthodoxen Partnern, Schass und das Vereinigte Tora-Judentum, die sieben beziehungsweise sechs Sitze in der Knesset belegen. Mosche Kachlon, Chef der Ein-Themen-Partei Kulanu, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschreibt, lehnt eine Annullierung der Reform ab.

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