Wann Richter „angemessen“ bezahlt sind

JUSTIZ Das Bundesverfassungsgericht hat Maßstäbe aufgestellt, ab wann die Besoldung in der Justiz „evident unzureichend“ ist. Die derzeitige Besoldung könnte vielerorts verfassungswidrig sein

KARLSRUHE taz | Richter und Staatsanwälte dürfen nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Das entschied jetzt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Den Verfassungsrichtern lagen sieben Fälle unter anderem aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz vor.

Im Grundgesetz steht zwar nichts Konkretes zur Richterbesoldung. Gewährleistet sind aber die „Grundsätze des Berufsbeamtentums“, zu denen auch das sogenannte Alimentationsprinzip gehört. Gemeint ist damit der Anspruch auf einen „angemessenen“ Lebensunterhalt. Weil der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen weiten Spielraum habe, wollen die Verfassungsrichter nur kontrollieren, ob die Richterbesoldung „evident unzureichend“ ist.

Hierzu hat Karlsruhe ein dreistufiges Prüfungsmodell entwickelt. In der ersten Stufe werden fünf Punkte geprüft: Entfernt sich die Richterbesoldung erstens zu sehr von den Tarifabschlüssen der Angestellten im öffentlichen Dienst, zweitens von der allgemeinen Lohnentwicklung im jeweiligen Land und drittens von der Preisentwicklung? Dabei gelten jeweils fünf Prozent Abweichung binnen 15 Jahren als Negativindiz.

Viertens dürfen sich die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen binnen fünf Jahren nicht um mehr als zehn Prozent verringern. Und fünftens soll die Richterbesoldung in einem Land nicht mehr als zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegen.

Wenn mindestens drei dieser fünf Kriterien erfüllt sind, besteht die Vermutung, dass die Richter im jeweiligen Land verfassungswidrig schlecht bezahlt werden. In einer zweiten Prüfungsstufe kann die Vermutung dann erhärtet oder widerlegt werden. Hier ist etwa zu berücksichtigen, ob es dem Staat gelingt, die besten zehn Prozent der Juristen in die Justiz zu locken.

In der dritten Prüfungsstufe kann der Staat geltend machen, dass eine verfassungswidrige Richterbesoldung ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Hier geht es vor allem um die Einhaltung der Schuldenbremse. Bei Konjunktureinbrüchen und entsprechenden Steuerausfällen kann von Richtern und Staatsanwälten ein Opfer verlangt werden.

An diesem Maßstab prüften die Karlsruher Richter dann die sieben vorliegenden Fälle. Danach war die Richterbesoldung in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 verfassungswidrig. Dagegen wurden Richter in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2003 ausreichend bezahlt.

„Derzeit ist die Richterbesoldung wohl in den meisten Bundesländern verfassungswidrig“, prognostizierte Robert Seegmüller, Chef des Bunds deutscher Verwaltungsrichter, nach dem Urteilsspruch. CHRISTIAN RATH

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