: Am Ende kommt der Wasserwerfer
TÜRKEI Demonstranten vermeiden Eskalation bei Mai-Protesten vor der Parlamentswahl
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Stundenlang hatten sie ausgeharrt, am Ende ging die Polizei mit Gewalt gegen die 1.-Mai-Demonstranten in Istanbul vor. Mit Wasserwerfern und Tränengas hat die Polizei am Freitagnachmittag die zentrale Gewerkschaftsdemonstration aufgelöst, die seit 10 Uhr im Stadtteil Besiktas vergeblich darauf gewartet hatte, zum zentralen Taksimplatz marschieren zu können.
Trotzdem blieb die ganz große Eskalation aus. Nicht zuletzt, weil die Gewerkschaftsführung der linken Konföderation DISK ihre Anhänger immer wieder zu Geduld aufrief und stattdessen in Verhandlungen die Polizeiführung zu überzeugen versuchte, den Demonstrationszug losziehen zu lassen. Lediglich in zwei Kilometer Entfernung vom eigentlichen Sammelpunkt kam es immer wieder zu Zusammenstößen.
Auch am Okmaydan, einem Platz in einem der größten Armenviertel Istanbuls, kam es zu Scharmützeln und Zusammenstößen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Dogan-Haber wurden insgesamt 136 Personen festgenommen.
Nur an dem für die Demonstranten gesperrten zentralen Taksimplatz blieb es gespenstig ruhig. Lediglich eine Abordnung der Gewerkschaften durfte am Vormittag Blumen niederlegen. Ansonsten gelang es nur einem kleinen Grüppchen Kommunisten, die Polizeisperren zu überlisten und für eine Minute auf den Platz zu laufen, bevor sie festgenommen wurden.
In der Türkei wird am 7. Juni gewählt. Die seit 13 Jahren regierende AKP von Präsident Tayyip Erdogan ist in Umfragen erstmals zurückgefallen und könte ihre Mehrheit verlieren.
Viele Leute hatten daher befürchtet, dass es während der Demonstrationen zu schweren Zusammenstößen kommen könnte, weil angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen die Stimmung in der Türkei sowieso schon aufgeheizt ist. Doch eine Übermacht von rund 25.000 Polizisten und die Besonnenheit der Gewerkschaftsführung, die der Regierung nicht den Gefallen tun wollte, mit wüsten Aufstandsbildern die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft bei den Wahlen zu erleichtern, sorgte dafür, dass es bis zum späten Nachmittag relativ ruhig blieb.
Auch in den anderen Großstädten der Türkei hielten sich die Demonstranten an die Vorgabe, Provokationen möglichst aus dem Weg zu gehen.