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Archiv-Artikel

KOLUMNENKINDERNAMEN SIND SCHWER ZU FINDEN. DOCH NUN IST ES PASSIERT: SIE SIND SCHWARZ-WEISS-GELB Schachfern und fußballnah

MAIK SÖHLER

Lange habe ich meine Kolumnisten-Kollegin Anja Maier beneidet. Sie hatte, wenn sie über ihr Kind schrieb, einen sehr schönen Namen gefunden, auf den sie immer wieder zurückgreifen konnte. Die „Einssechzigblondine“ nannte Maier ihr Kind. Ich dagegen hatte immer nur „den Sohn“ und „die Tochter“. Das ist langweilig, aber nichts anderes zeichnete sich ab.

Es gab Tendenzen, gewiss. Als ich mir sicher war, die Tochter aller möglichen Missverständnisse zum Trotz das Berti-Vogts-Kind zu nennen, weil sie als Verteidigerin in der E-Jugend wie ein Terrier agierte, schmiss sie den Fußball plötzlich hin. Der Sohn war kurz davor, als Frühaufsteherkind in die Kolumne einzugehen. Da besann er sich und schlief aus. Das ist gut; für ihn, für mich und für die Namensgebung. Berti-Vogts- und Frühaufsteherkind, das passt ohnehin nicht zusammen.

Nun aber ist alles anders. Die Tochter ist das schwarz-gelbe Kind und der Sohn das schwarz-weiße. Schwarz-Gelb, ja, sie ist BVB-Fan. Schon länger und es wird immer inniger. Autogrammkarten, eine tanzende Stofftierbiene, Mütze, Schal, Trikot, Fußballschuhe, Fingernägel und zuletzt auch ein von der Oma gestrickter Kapuzenpullover und eine Tragetasche – wenn ich das schwarz-gelbe Kind sehe, wird mir bewusst, wie schön die Vielfalt der Farben ist.

Grün, Blau und Rot sind auch beim schwarz-weißen Kind selten. Es spielt zu Hause, am Brett und gegen den Schachcomputer. Er spielt im Verein und manchmal auf Turnieren. Wenn ich da mitgehe, betrete ich eine schwarz-weiße Welt, in der man nur in Buchstaben-Zahlen-Kombinationen spricht, und wo man meinen Sohn mitleidig anschaut, wenn er mit mir zwischen zwei Turnierspielen in der Pause eine Partie spielt. „Sieh mal“, sagte da neulich ein Vater zu seinem Sohn, als sie unser Spiel beobachteten, „wir sprachen schon darüber, dass nicht wie bei uns alle in der Familie Schach spielen. Der Junge dort kommt aus einer schachfernen Familie.“ Ich habe das Modewort bildungsfern nie gemocht. Seit diesem Spruch reagiere ich darauf wie eine Dame auf einen ungedeckten Bauern.

Fußballfern bin ich hingegen nicht. Wenn der BVB in der Bundesliga spielt, hört das schwarz-gelbe Kind BVB-Netradio. Es ist sinnlos, in dieser Zeit etwas vom schwarz-gelben Kind zu wollen. Es taucht ab in eine Welt, in der es nur Schwarz und Gelb gibt und in der niemand sprechen darf, der nicht Boris Rupert oder Norbert Dickel heißt. Ich akzeptiere das, denn oft ist meine Welt im gleichen Zeitraum grün-weiß.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

DienstagSonja VogelGerman Angst

MittwochAnja MaierZumutung

DonnerstagRené HamannUnter Schmerzen

Freitag--

MontagIngo ArztMillionär

Wenn aber Champions League ist, will das schwarz-gelbe Kind das Spiel sehen. Wir gehen dann in eine Kneipe, wo sonst nur Erwachsene sitzen, und das schwarz-gelbe Kind, das mit der Pubertät die gleiche Wechselwirkung hat wie Schwarz und Gelb, genießt es, dass es bei flüchtiger Betrachtung als junge Erwachsene durchgeht, die in Gaststätten rumlungert. Fällt aber ein Gegentor, greift es zu meiner Hand und hält sie fest.

Ich mag den BVB und ich mag es, wenn BVB-Gegner Tore schießen, weil dann aus dem kindfernen BVB-Fanartikelkleiderständer einfach wieder das schwarz-gelbe Kind wird.