Flüchtlinge nur in Großstädte?

ASYL Flüchtlinge werden häufig auf dem Land untergebracht. Dort sind sie Anfeindungen ausgesetzt. Doch die Anonymität der Stadt könnte helfen

Die Streitfrage wird vorab online gestellt. Immer dienstags. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der taz.am wochenende. www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune Redaktion: S. Emminghaus, S. Simon Fotos: TV Yesterday (groß); Senatsverwaltung Berlin, Kopp, privat

Mario Czaja

Die meisten Flüchtlinge streben zuerst in die Großstädte. So hat auch Berlin einen großen Andrang zu bewältigen, bevor ein Teil der Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel in andere Bundesländer verteilt wird. Für die Großstädte ist die Bereitstellung von Wohnungen für die Flüchtlinge eine große Herausforderung. Wo in anderen Regionen aufgrund einer abnehmenden Bevölkerung Wohnraum leer steht, ist Berlin eine wachsende Stadt und der Wohnraum wird zunehmend knapp. Daher baut und mietet das Land Berlin auch zum ersten Mal selbst Unterkünfte für Flüchtlinge.

Mario Czaja, 40, ist CDU-Politiker und Sozialsenator von Berlin

Eva Lohse

Die Aufnahme von Flüchtlingen mit oft schweren Schicksalen geht unsere gesamte Gesellschaft an – in großen Städten wie in kleinen Gemeinden. Es wäre falsch, flüchtlingsfreie Zonen zu schaffen. Fremdenfeindlichkeit kann nicht akzeptiert werden.

Eva Lohse, 59, ist Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen und Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages

Philip Dingeldey

Kommunen stehen vor dem Problem, Asylbewerber unterzubringen. Dort, wo Platz ist, kommt es zu rassistischen Attacken – aber die gibt es auch in der Stadt. Hinzu kommt, dass urbane Regionen schon kaum den gewöhnlichen Zuwachs an Menschen verkraften. Dörfer sind strukturschwach, aber es gibt Platz für Unterkünfte. Man muss die dortige Bevölkerung darüber aufklären, dass es ein Menschenrecht auf Asyl gibt.

Philip Dingeldey, 24, ist Autor und Student. Er hat die Streitfrage per E-Mail an streit@taz.de beantwortet

Sevim Dagdelen

Die Bundesregierung muss ihre Beihilfe zur mörderischen EU-Abschottungspolitik beenden. Solange sie die Geflüchteten nicht vor rassistischen Mobs wie in Tröglitz schützt und ihre nützlichkeitsrassistischen Kampagnen einstellt, sind Flüchtlinge weder auf dem Land noch in der Stadt sicher.

Sevim Dagdelen, 40, ist Mitglied der Linksfraktion im Deutschen Bundestag

Barbara Kirchhainer

In der Großstadt ist man anonym, isoliert. In kleinen Orte kennt und hilft man sich untereinander. Es gibt Ansprechpartner in Vereinen, Kitas, Schulen, bei Ärzten und auf Ämtern. Wenn Bürger rechtzeitig „mitgenommen“ werden, stehen sie zu ihren neuen Nachbarn. Patenschaften und Freundschaften entstehen – beginnend bei Kindern.

Barbara Kirchhainer, 65, ist Gemeinderätin in Sanitz, Mecklenburg-Vorpommern