: Auf den Postkanälen der Spree
SPREEWALD Im Dorf Lehde wird die Post per Kahn zugestellt. Dafür stakt Andrea Bunar täglich acht Kilometer durch die Spree
VON GINA NICOLINI
Mit leisem Plätschern gleitet der postgelbe Aluminiumkahn von Andrea Bunar über die etwa einen Meter tiefe Fließe. Das Wasser ist trüb, genau wie der Himmel, gleich beginnt es zu nieseln. Mit festem Griff drückt die Postzustellerin ihr Rudel, so heißt die lange Holzstange, mit der sie ihren Kahn antreibt und steuert, in den matschigen Grund des Gewässers und stößt sich ab. Staken nennt sich das. Eine große, schwarze Kiste voller Briefe und Pakete steht zu ihren Füßen, geschützt mit einer wetterfesten Plane. Andrea Bunar greift ein paar Briefe und lässt den Kahn sanft ans Ufer gleiten. Ein mit Blumen und Schmetterlingen bemalter Briefkasten hängt schräg über dem Ufer der Fließe. Mit einem gekonnten Griff schiebt sie den Deckel des Briefkastens hoch und steckt die Briefe in den Kasten: „Oft muss ich nicht mal aussteigen“, freut sich die 44-Jährige. Die Bewohner des Spreewalddorfes Lehde haben ihre Briefkästen so angebracht, dass sie für die kleine sportliche Postfrau vom Wasser aus gut zu erreichen sind.
Lehde, das ist ein 130-Einwohner-Dorf rund 80 Kilometer südöstlich von Berlin. Seit fast 30 Jahren arbeitet Andrea Bunar jetzt als Postbotin, zuerst nur zu Land, seit drei Jahren auch zu Wasser. Von April bis Oktober ist sie Deutschlands einzige Postkahnzustellerin. „Im Sommer bekomme ich schon mal einen Sonnenbrand“, sagt sie über ihren Job auf dem Wasser. „Und wenn im Herbst das Wetter schlechter wird, trage ich eine dicke Regenjacke, ich fahre auch bei Schnee und Hagel.“ Acht Kilometer legt Andrea Bunar jeden Tag mit ihrem Kahn zurück, 130 Menschen warten auf ihre Postlieferung. „Am Anfang der Saison tun mir abends noch die Arme weh“, so Brunau, „aber dann gewöhne ich mich schnell daran.“ Jeden Tag um 12 Uhr beginnt sie ihre Bootstour durch die Kanäle der Spree, mehr als 600 Briefe und Karten und rund 40 Pakete kommen so jede Woche mit dem Postkahn zum Empfänger. Und das schon seit über 110 Jahren.
Nur per Kahn erreichbar
Denn auch sonst geht in Lehde nichts ohne Kahn. Bis 1929 gab es keinen befestigten Landweg zum benachbarten Lübbenau, zu dem Lehde als Stadtteil gehört. Darum haben die Bewohner des Spreewald-Dörfchens einen Zugang zur Fließe und mindestens einen Kahn. Einige der Häuser sind noch immer nur per Kahn zu erreichen. Wenn die Fließe im Winter zugefroren ist, wirft Andrea Bunar die Post in die Winterbriefkästen, die zur Straße hin hängen. Dann ist sie wie die meisten ihrer KollegInnen zu Fuß unterwegs. Zu einigen Häusern gelangt sie nur über unbefestigte Wege und durch den Wald. „Das dauert allerdings viel länger und ist sehr mühsam“, sagt Andrea Bunar. Mit dem Kahn geht es schneller, zwei bis drei Stunden braucht sie für ihre Tour.
Vor einem Restaurant hält sie nun den Kahn an. Sie greift in die schwarze Kiste und nimmt zwei große Pakete und einen Stapel Briefe heraus. Mit einem großen Schritt steigt sie gekonnt ans Ufer – der Kahn hinter ihr bleibt ruhig im Wasser liegen. Nur einmal habe sie fast das Gleichgewicht verloren, erzählt Bunar, als sie der Hund eines Anwohners erschreckt habe. Ins Wasser gefallen sei sie aber noch nie.
„Das Größte, was ich je geliefert habe“, sagt Bunar, „war ein Kühlschrank. Den musste ich alleine in meinen Kahn laden und auch alleine ausliefern.“ Wie alle MitarbeiterInnen muss auch die Postkahnfrau Sendungen bis zu einem Gewicht von 31,5 Kilogramm austragen. Ein ziemlicher Kraftakt für die kleine Frau, denn für einen Sackkarren ist kein Platz im Boot.
Autogramm von der Post
Auf ihrer Fahrt entlang der Fließe trifft Bunar immer wieder auf Ausflugskähne. Auf großen Booten werden Touristengruppen durch die idyllische Landschaft gestakt. Als Andrea Bunar um die Ecke biegt, kommt ihr ein solcher Kahn entgegen. Ihr Postboot schwankt jetzt ein wenig, doch balanciert Bunar die kleinen Wellen gekonnt aus. „Tach, die Dame“, ruft der Bootsführer des Touristenboots über das Wasser. „Oh, die Wasserpost!“, freut sich eine ältere Frau. Einige in warme Decken gehüllte Touristen zücken ihre Handys, um ein Foto zu machen. Andrea Bunar lächelt und winkt, an so viel Aufmerksamkeit hat sie sich mittlerweile gewöhnt. „Letztens wollte sogar jemand auf einer Party ein Autogramm von mir haben“, erzählt sie schmunzelnd, „der Mann hatte mich in der Zeitung gesehen. Verrückt, oder?“ Sie liebe ihren Job, sagt Bunar. Es gefalle ihr, dort zu arbeiten, wo andere Menschen Urlaub machen. Hin und wieder kämen auch Touristen nach Lehde, die einmal das Dorf sehen wollen, in dem die Post per Kahn zugestellt wird, sagt Andrea Bunar. Doch fühle sich so viel Beachtung auch merkwürdig an, schließlich mache sie den gleichen Job wie die Kollegen, nur eben auf einem Kahn. Nachdem das Touristenboot vorbeigefahren ist und die Fließe vor ihr frei wird, nutzt sie ihre Chance, um noch einmal Fahrt aufzunehmen.
Auf dem Rückweg leert sie den letzten Postkasten, der an einer kleinen, verwitterten Holzbrücke steht. Auch das gehört neben Briefmarkenverkauf und dem Paketdienst zu ihren Aufgaben. „Ich bin eine mobile Postfiliale“, sagt sie und lacht.