Unikate mit Herz

HANDGEFERTIGTES Designerstücke erobern Berliner Werkstattläden für Behinderte. Gut und schön ist aber auch ganz Traditionelles

Die Idee, Handwerk mit Design zu verbinden, lockt neue Kunden an

VON JANET WEISHART

Klar, der gemeine Stubenbesen ist immer noch ein Hit. „Japaner und Amerikaner bestellen diesen Haushaltsklassiker dutzendweise bei uns“, erzählt der Leiter der Besen- und Bürsteneinzieherei der Imaginären Manufaktur (DIM) Alexander Redlitz. Doch der fleißige Feger, der an Omas Küche erinnert, ist es nicht, warum Designfans den Werkstattladen in Berlin-Kreuzberg (Oranienstr. 26) öfters mal entern. Es sind außergewöhnliche Artikel wie „Louise the flower tease“, eine als Bürste getarnte Blumenvase, oder die Gebissbürste mit Goldzahn. Mr. Brushshoe, der Holzschuh mit Borsten ist sicher stolz, dass es andere Bürsten- und Besenschwestern sogar bis ins MoMA New York geschafft haben. Der preisgekrönte Grundgedanke der DIM, Handwerk mit Design zu verbinden, bringt der ehemaligen Blindenanstalt neue Kunden. Ein sichtbarer Erfolg für die 50 Mitarbeiter, die all die schönen Illusionen erschaffen. Redlitz ist überzeugt: „Werkstätten müssen neue Kundenbereiche erobern, um wirtschaftlich zu sein. Gute Verkäufe bedeuten eine bessere Förderung für Mitarbeiter.“

Einerseits stehen die 21 Berliner und Potsdamer Werkstätten für traditionelle, hochwertige Handwerksprodukte. Andererseits möchten sie neue, stilvolle Objekte herstellen und vertreiben. So gehen Produktdesigner in den Werkstätten ein und aus. Das ist vielen Arbeiten anzusehen. Bei der DIM etwa der sprichwörtlichen Nagelbürste. Zur Jahreszeit passend empfiehlt Redlitz die Flaschenbürste Weihnachtsbaum. Schick sind die recycelten Ölkanister. Designerin Petra Schultz lässt sie bei der Union Sozialer Einrichtungen (USE), zu der die DIM gehört, bauen.

Ganz exklusives Porzellandesign entdecken Weihnachtseinkäufer auf ihrem Beutezug im VIA Werkstätten-Verkaufsladen Blumenfisch in Berlin-Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee 175: Limoges-Porzellan mit einem bei 1.220 Grad eingeschmolzenen Draht. So gestaltete Salz- und Pfefferstreuer verleihen jedem Frühstückstisch Würze. Elegant wirken die Keramik-Sushi-Bretter. Die Fahrzeugdesigner Mark Bergold und Julian Jaede lassen bei VIA Möbel bauen, beispielsweise den Hutfänger in Vogel-Form.

Apropos Vogel – aus 2.000 bis 4.000 Federn fertigen die Mitarbeiter der Werkgemeinschaft Berlin-Brandenburg äußerst edle Lampenschirme für die Architektin Heike Buchfelder. Die Leuchten sind allerdings nur in Möbelfachgeschäften wie bei Willy Bernklau in Berlin-Pankow zu haben. Im Werkstattladen der Werkgemeinschaft in der Königin-Luise-Straße 94 lieben Kunden die Woll- und Webschals jenseits von Wegwerfmode. Aus Seide, Mohair, Kaschmir oder Wolle zaubern flinke Hände in der Spinnerei bunte Halsschmeichler. „Kunden können ihren Traumschal bei uns bestellen und nach zehn Tagen abholen“, wirbt Weberin Anja Spletzer. Ladenhits sind die fein geschliffenen Polizei-Holzautos, Puppenmöbel oder die mit der Hand gezogenen Christbaumkerzen aus regionalen Bienenwachs.

Ein schonender Umgang mit den Ressourcen ist fast allen Werkstätten eigen. Die Berliner Werkstatt faktura in Berlin-Mitte (Rungestr. 17) nennt sich „ökologisch-kreativ“ und setzt dies bei ihrer Berufsintegrationsförderung von beeinträchtigten Menschen um: Reine Merinowolle, gefärbt nach Ökotex-Standard, wird zu Unikaten gefilzt. Werkstattleiterin Carolin Bahr-Roth: „Wir nähen den Ökomief, der Filz anhaftet, mit Ideen weg.“ Und mit Farben: Die Kinder-Brottasche in Pink macht mit lila Kreisen und fantasievollen Ziernähten gute Laune sowie Appetit. Die Wärmflasche könnte mit ihren psychedelischen Mustern wohl auch eine Wanddeko sein. Dass Kunst im geschützten Raum bunt blüht, davon erzählen die Kunstwerke der Mosaik-Werkstätten für Behinderte in Berlin-Spandau (Askanierring 155). Eine schon berühmte Künstlerin ist Suzy van Zehlendorf. Ihr Werk verblüfft. Denn Suzy begreift Personen als Mischwesen aus Vogel und Mensch.

Auch Olga ist als Künstlerin anerkannt. Sie arbeitet derzeit in der Keramikwerkstatt des Kaspar Hauser Therapeutikums. Hier ritzt sie skurrile Katzen in Tassen, die es im Ellas in der Brunnenstraße 24 gibt. Keramikerin Almuth Vandré sagt: „Ihre Bildsprache ist bemerkenswert, zweidimensional, sehr filigran.“

Dank der Kreativität der Mitarbeiter entstehen auch in den Lankwitzer Werkstätten immer wieder neue Produkte. „Ein Mitarbeiter designt bei uns Stühle aus Metall, ein anderer nahm die Abfälle und kreierte daraus Elche“, sagt Pressesprecher Stephan Kersten. Ins Auge fallen in der Brauerstraße 17–18 schöne Lesezeichen aus Kupfer und der wellenähnliche Silberring. Einpacken können Käufer die Trophäen ins werkstatteigene Geschenkpapier für einen Euro.

www.werkstaetten-im-netz.de/