: Fast wie Tina Turner
KOKETTE HYMNEN U2 für Postpunk-Fans – Gossip und Beth Ditto feiern sich und ihre Lieder in der ausverkauften Columbiahalle
Beth Ditto ist ein Profi – und die Show durchgeplant. Die Vorband spielt ein schlüssiges Set, immer höflich zurückhaltend, damit sie vom Hauptact noch getoppt werden kann. Dazu gibt es nette Videoanimationen auf einer Leinwand im Hintergrund. In der Umbaupause laufen die Pixies-Songs, die alle kennen, gerade so lange, dass das Publikum ungeduldig wird – besser könnte die Vorbereitung nicht sein.
Als Gossip dann die Bühne betreten, säuselt Ditto erst einmal ein „Excuse me“ ins Mikrofon, was aber überhaupt nicht nötig gewesen wäre, um das Publikum für sich zu gewinnen. Ihr kesser roter Kurzhaarschnitt, ihr ölig schillerndes Kleid, ihr grünes Make-up um die Augen, kurz: ihre ganze Erscheinung macht es eigentlich unnötig, dass sie nach den ersten paar Songs noch einen drauflegt: „My voice’s a little shitty today, isn’t it?“, sagt sie und ist dabei so charmant und kokett wie eh und je.
Natürlich gibt es auch ein „Berlin, ich liebe dich“ und das Publikum haucht zurück „Ich liebe dich“. Natürlich zieht sie das Kleid nach der Hälfte der Show aus und nimmt einen BH, der auf die Bühne fliegt, als Strumpfband. Die Band hält sich hübsch – die Schlagzeugerin konsequent im Tomboy-, der Gitarrist im Queercore-Style – im Hintergrund. Ditto singt eine Hymne mit vielen „Nanana“ und „Ohohoh“ nach der anderen. U2 für Postpunk-Fans, und alle haben Spaß.
Auch die Zugabe ist sicher einkalkuliert, kaum eine halbe Minute verschwindet die Band, dann gibt es Tina Turners „What’s love got to do with it“, ein Geburtstagsständchen zum 70., den die Sängerin an diesem Abend feiert. Beth Ditto ist in gewisser Weise die legitime Nachfolgerin der Turner. Auch wenn die Stimme nicht ganz so gut ist – die Power hat sie allemal.
Obendrauf gibt es noch den ersten großen Hit der Band: „Standing in the way of control“. Der Song ist eine Ermutigung zum selbstbestimmten Leben. Er wurde 2007 gegen George W. Bush und seinen Gesetzesvorschlag, der gleichgeschlechtliche Ehe verhindern sollte, geschrieben. Das Großartige an Gossip war diese Verweigerungshaltung. Dazu kam das Staunen darüber, mit welchem Erfolg Ditto ihren beleibten Körper in den Popbetrieb einschleusen konnte. Wie um das noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, kommen drei Drag Queens auf die Bühne und singen und tanzen mit Ditto.
Und die macht weiter: Sie singt mit dem Publikum noch zwei Refrains der „first gay hymn“, wie sie „We are the champions“ bezeichnet. Dass es politischen Positionen im Pop braucht, zeigte sich schon ganz zu Beginn. Als Hannah Blilie, die Schlagzeugerin von Gossip, im Dunkeln als Erste die Bühne betritt, mit einem Truckercap ganz auf Tomboy gestylt, wird sie ausgebuht: Das kann nicht die Schlagzeugerin sein, die man erwartet. Und ganz am Ende, auf dem Heimweg sagt jemand mit säuerlichem Gesichtsausdruck, dass es „schon krass“ gewesen sei, wie viele Schwule und Lesben hier gewesen seien.
ELIAS KREUZMAIR