: Verschmähte Vielfalt
WURZELGEMÜSE Viel mehr als Möhren und Radieschen ist auf den meisten Einkaufszetteln nicht zu finden. Damit ist auch so manches Geschmackserlebnis ausgeschlossen
Die norddeutsche Erde bietet eine erstaunliche Vielfalt an Wurzeln zur Bereicherung des Speiseplans.
■ Ob Bio oder nicht: Mit Abstand am meisten gekauft werden nach Auskunft der Agrarmarkt-Informations GmbH (früher ZMP) Karotten (Möhren), es folgen Radieschen und dann im konventionellen Anbau Rettiche und der Knollensellerie.
■ Alle anderen führen ein Schattendasein: Kohlrabi, Rote Bete, Schwarzwurzeln, Speiserüben, Steckrüben, Pastinaken, Petersilienwurzeln und Topinambur.
■ Im Bio-Bereich steht auf Platz drei der Beliebtheitsliste die Rote Bete.
VON GERNOT KNÖDLER
Die Karotte oder Möhre ist der Hit unter den Wurzeln. Drei Viertel allen Wurzelgemüses, das in Deutschland verkauft wird – vom Rettich bis zur Pastinake – sind Karotten. Weniger bekannte oder verdrängte Sorten wie Pastinaken, Steckrüben oder Topinambur scheinen durch den ökologischen Landbau wieder an Boden gewinnen. Denn Wurzeln und Rüben haben große Vorteile: Sie müssen nicht von weither herbei gekarrt werden und die meisten können über den Winter gut gelagert werden.
So eine Pastinake kann ganz schön irritieren: weiß, von der Form her zwischen Möhre und Rettich, innen mürbe – es ist nicht sofort klar, was sich damit anstellen lässt. Umso erstaunlicher ist, dass die Pastinake bei der Bio-Gärtnerei Sannmann in den Hamburger Vier- und Marschlanden weit oben in der Liste der am häufigsten verkauften Wurzeln steht. „Die werden viel in der Kinderernährung verwendet, weil sie süß sind“, sagt der Inhaber Thomas Sannmann.
Seine Gärtnerei beliefert Läden und Märkte, aber auch eine Abo-Kiste mit Obst und Gemüse vor die Haustür. Für Sannmann, der sich auch über seinen Betrieb hinaus dafür einsetzt, die Vielfalt der Kulturpflanzen zu erhalten, ist das Gemüse-Abo eine Möglichkeit, für alte Sorten zu werben. „Der Geschmack kommt beim Essen“, glaubt er.
Für das Wurzelgemüse interessierten sich allerdings nur Leute, „die sich intensiv mit dem Kochen beschäftigen“, hat der Gärtner beobachtet. Aus seiner Sicht ist das schade, weil es unter den Gemüsearten eine Vielzahl spezieller Sorten gibt und auch eine Menge Ideen, was man damit anstellen kann.
Neu entdeckt worden sei zum Beispiel die Ur-Möhre von violetter bis purpurroter Farbe. Von der Roten Bete gebe es eine Variante mit weißen Streifen und auch Rüben zu verspeisen, müsse nicht langweilig sein: Das scharf-aromatische Teltower Rübchen sei etwas für Feinschmecker.
Aus den Stielen des Mai-Rübchens – der Navette, das auch spät im Jahr ausgesät werden könne, lasse sich ein Salat bereiten. Topinambur, ein Gewächs, dessen knollige Wurzeln von der Form her dem Ingwer gleichen, sprießt wie Unkraut und biete sich als süße Alternative zur Kartoffel an. Bei der Roten Bete empfiehlt Sannmann, sie einmal mit Knoblauch einzulegen.
Sannmanns Einschätzung nach kommt das Wurzelwerk in der Bioszene besonders gut an, weil das Interesse an regionaler Ware größer sei als auf dem konventionellen Markt. Sorten wie Pastinaken oder Topinambur seien nie tot gewesen, besonders weil sie der ökologische Landbau immer angeboten habe, sagt Erhard Lesemann, Kreisgärtnermeister der Vier- und Marschlande. In jüngster Zeit seien sie „ein bisschen bekannter geworden“ und spielten auch in der Gastronomie wieder eine größere Rolle.
Dass die meisten Wurzeln ein Schattendasein führen, erklärt die Schweizer Ernährungsberaterin Marianna Buser damit, dass sie nicht so attraktiv aussehen und nicht so leicht zu handhaben sind, wie schnell wachsendes Gemüse, etwa Tomaten oder Gurken. „Man muss das Zeug ein bisschen beißen“, sagt Buser, die eines der wenigen Rezeptbücher zum Thema verfasst hat.
Bei ihren Kochkursen stelle sie fest, dass viele Mägen der derben Kost entwöhnt seien. Auch reagierten viele TeilnehmerInnen überrascht auf den intensiven Geschmack der Wurzeln. „Die Leute sind etwas aromamüde“, findet Buser. Ihre Prognose fällt vorsichtig aus: Wurzelgemüse werde künftig wohl wieder eine größere Rolle spielen in den Küchen, vermutet sie, schränkt aber ein: „So ein richtig großer Boom wird’s schon nicht.“