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Archiv-Artikel

„Ich bin Godfather und Vorturner“

DEUTSCHE KÜCHE Ein Gespräch mit dem Sternekoch, Publizisten, Trompeter und Schwaben Vincent Klink

Vincent Klink

Der Sternekoch: geboren 1949 in Schwäbisch-Gmünd, Koch, Autor und Musiker. Von 1974 bis 1991 betrieb er in seiner Heimatstadt den „Postillion“, 1978 erhielt er den ersten Michelin-Stern. Seit 1991 führt er das Restaurant „Wielandshöhe“ in Stuttgart.

Der Publizist: Herausgeber kulinarischer Jahrbücher wie „Die Rübe“ (Haffmans) und „Cottas kulinarischer Almanach“ sowie der Zeitschrift Häuptling Eigener Herd (mit Wiglaf Droste). Gerade erschienen: „Sitting Küchenbull. Gepfefferte Erinnerungen eines Kochs“, Rowohlt, Reinbek 2009.

Der Fernsehkoch: ist seit 1997 im TV unterwegs für „ARD-Buffet“ und „Koch-Kunst“.

INTERVIEW TANIA MARTINI UND KLAUS BITTERMANN

taz: Herr Klink, als wir in einem Restaurant in Stuttgart nach 11 Uhr noch ein Frühstück wollten, lehnte die Bedienung ab: „Wenn die anderen das sehen, wollen die auch eins.“ Ist das schwäbischer Pietismus?

Vincent Klink: Es ist sehr schwäbisch. Der Schwabe verkauft nicht gern was. Man muss ihn schon bitten. Der Schwabe macht zwar gern Umsatz, aber er gibt’s nicht gerne zu. Wenn ich auf dem Markt einkaufen gehe, dann weiß ich, ich kriege gute Ware nur, wenn ich schwäbisch spreche. Mit den Leuten feilschen geht nicht. Alles hat seinen genau festgelegten Preis. Gegen den schwäbischen Pietismus bin ich ja gefeit, denn ich komme aus dem katholischen Schwäbisch Gmünd, und da ist es eine ganze Ecke lustiger. Als ich von dort nach Stuttgart ging, warnten mich die Leute vor der „pietistischen Grube“, weil die Leute da zum Lachen in den Keller gingen. Wer früher mal gut gegessen hat, womöglich etwas zu viel, der bekreuzigte sich fast und sprach: „Heute gönne ich mir etwas!“ Gott sei Dank haben die Globalisierung und die Zuwanderung auch hier vieles zum Guten gewendet.

Oft herrscht aber noch das Prinzip: Hauptsache, viel. In Ihrem Buch „Sitting Küchenbull“ beschreiben Sie solche Phänomene und wie die Migration die deutsche Esskultur veränderte.

In Deutschland war die Haltung früher die: essen, um zu überleben. Die Migranten aber brachten etwas Neues mit, und zwar nicht nur neue Rezepte, sondern vor allem die Lust zu essen. Kürzlich fand eine Freundschaftsnacht mit Stuttgarts Partnerstadt Straßburg statt, und im Rathaus wurden Maultaschen gereicht. Ich war zunächst peinlich berührt. Es befand sich ein Turm mit Unrat auf dem Teller. Aber sogar das hat der französische Koch mit Grandezza und Lust verspeist – eine echte heroische Tat. Was ich meine: Viele müssten mit ihrem Fastfood eigentlich viel kränker sein als wir. Aber sie essen offensichtlich mit Freude. Und so muss das auch sein.

Lust ist ein Leitthema für Sie. In Ihren „Erinnerungen“ gibt es aber auch diesen schwarzen Mercedes des Vaters, der Sie zu den Disziplinierungsinstitutionen bringt: Kloster, Lehre, Militär. Sind die Gegensätze Lust und Disziplin noch Thema?

Auf jeden Fall, das ist die ständige Reibung meines Lebens. Das Yin und Yang, das Pendeln zwischen Vernunft und Unvernunft. Mal bin ich mehr auf der einen Seite, mal mehr auf der anderen.

Um Ihren Betrieb zu führen, brauchen Sie viel Disziplin.

Aber nicht im Sinne einer Schreckensherrschaft, wie das noch zu meiner Lehrzeit gewesen ist. Für mich geht es darum, dass sich die Köche wohlfühlen. Ein unglücklicher Koch kann nicht gut kochen. Und ich bin der Godfather und Vorturner. Ich zeige, wie es geht, und greife nur ein, wenn es gar nicht mehr hinhaut. Wichtiger als Disziplin ist Nachsicht, denn fehlerfrei ist ein Tag bei uns nicht zu bewältigen. Damit muss man leben können.

Und Sie können damit leben?

Sicher, ich habe nie etwas anderes gelernt. Wenn ich schreibe, geht’s mir ähnlich. Das verbindet den Koch mit dem Autor: Du kannst jeden Satz umstellen und anders zusammenbauen, und du kannst an jedem Text rummäkeln. Ob der von Thomas Mann ist oder sonst wem – völlig egal. Beim Essen ist es genauso. Kleine Fehler lassen sich kaschieren. Deshalb brauchen Köche auch selten einen Psychiater. Im Grunde ist Menschlichkeit gleichzusetzen mit Fehlerhaftigkeit.

Vor Kurzem schnappte ich in einem Restaurant die Bemerkung einer Frau auf: „Einen Koch würde ich nicht nehmen, die sind mir alle zu deppert.“

Da ist was dran. Aber es ist ja nicht so schlimm. Deppert kommt jeder auf die Welt. Es ist einfach nur wichtig, wie man sich verbessert, und deshalb ist mein Bestreben, möglichst alt zu werden und dieses Deppertsein Tag für Tag zu minimieren. Außerdem kenne ich mehr depperte Akademiker als depperte Köche. Köche beherrschen in der Regel ja wenigstens ihren Beruf.

Diesen Sommer feierten Sie zusammen mit Wiglaf Droste das zehnjährige Jubiläum Ihrer Zeitschrift Häuptling Eigener Herd. Sie treten im Fernsehen auf, schreiben Erinnerungsbücher, fahren Motorrad, musizieren. Bleibt da überhaupt noch Zeit für den Beruf des Kochs?

Mein Beruf ist mein Korsett, das mir Selbstsicherheit gibt. Er ist der Sinn meines Lebens. Aber das weiß ich noch gar nicht so lange. Die positive Einstellung und die Stabilität – das kommt von meinem Beruf. Und zwar, weil ich ihn kann. Wobei ich nicht behaupten will, dass ich ihn sehr gut kann. Aber ich kann ihn ziemlich gut. Es gibt Leute, die können gewisse Dinge viel besser kochen als ich. Kochen ist ein so weites Feld, deshalb ist es unmöglich, perfekt zu sein. Das zu denken wäre Schwachsinn. Kochen ist eine absolut lebendige Sache und verändert sich jeden Tag. In meinem Buch erwähne ich Alain Chapel, der vor 30 Jahren einer der berühmtesten Köche war. Der hatte seinen Angestellten verboten, sich Rezepte zu notieren, weil die Gerichte sowieso jedes Mal anders werden. Und es ist in der Tat wichtig, dass es immer anders wird. So wie mit Texten.

Landläufig glaubt man oft, gute Küche zeichne sich durch Standards aus, die sie hält. Es muss immer gleich schmecken.

„Kleine Fehler lassen sich kaschieren, deshalb brauchen Köche auch selten einen Psychiater“

Standard muss man freier definieren. Der fängt schon damit an, ob die Bude gut oder schlecht geheizt ist. Es liegt nicht nur am Kochen. Jeder Mensch besorgt sich eine Illusion, wenn er essen geht. Das ist beim Lesen nicht anders. Jeder liest einen Text anders. Und so schmeckt auch jeder das Essen anders. Letztlich geht es um das Gesamterlebnis. Spitzenstandard ist nicht, über etwas zu wenig Salz oder zu viel Salz zu definieren. Da gibt’s viel mehr Komponenten. Entscheidend ist, dass jemand glücklich das Lokal verlässt. Essen allein macht noch nicht glücklich, auch wenn es Bio ist. Selbst Köstlichkeiten sind ungesund, wenn sie jemand missmutig in sich hineinschaufelt.

Was halten Sie von der Molekularküche?

Zunächst muss man sich klarmachen, dass Kochen ein Broterwerb ist, egal welches Gebiet man beackert. Ob der Koch im Fernsehen einen Flickflack über den Herd macht oder in einer Imbissbude Currywürste auf den Rost schmeißt. Und im Fernsehen irgendeinen Blödsinn zu kochen finde ich immer noch einen angenehmeren Job, als Zahnarzt zu sein. Das Schöne an meinem Gewerbe ist, dass es so frei interpretierbar ist. In allen Bereichen kann man seine Sache gut machen, auch im Fastfood. Und wenn jemand molekular kocht wie der Spanier Ferran Adrià, dann finde ich das prima, weil es eine zusätzliche Farbe in unseren Beruf bringt, solange er es mit Inbrunst und Überzeugung macht. Unangenehm sind nur die Epigonen. Authentizität ist wichtig.

Widerspricht die Molekularkocherei nicht fundamental Ihrer Herangehensweise ans Kochen?

Ich bin nicht Ferran Adrià. Ich akzeptiere, was er macht. Für mich selbst kommt die Molekularkocherei aber nicht infrage. Die 70 bis 80 Gäste abends in meinem Restaurant würden ganz genau merken, ob das mein Ding ist. Ob ich das selbst gerne esse oder ob ich es nur produziere, weil es gerade im Trend liegt. Deshalb konzentriere ich mich in meinem Leben, in der Musik und in der Kunst nur auf Typen und Charaktere, die mit Begeisterung an ihre Sache gehen. Egal wie bekloppt sie sind.

Sie haben kein besonderes Sendungsbewusstsein?

Ich habe den Anspruch, meine Kunden glücklich zu machen. Es ist für mich wichtig, sich im Einklang mit der Natur zu befinden. Wenn man sich zu weit von der Natur entfernt, schafft man kein glückliches Leben.

Sie kochen für eine Kundschaft, für die Geld keine Rolle spielt?

Nicht ganz. Ich versuche über meine Fernsehtätigkeit auch etwas anderes. Da sind fast alle meine Rezepte im 5-Euro-Bereich. Was den Restaurantbesuch so teuer macht, ist nicht das Essen, sondern dass für die 70 Gäste 25 ausgebildete Kräfte unterwegs sind. Das ist Luxus, völlig klar. So gesehen ist alle Kunst und Kultur luxuriös und damit unvernünftig. Wozu brauche ich ein Buch? Wenn ich Hunger habe, brauche ich kein Buch, sondern eine Brezel. Das Schöne am Menschsein besteht in allem, was über das Notwendige hinausgeht. Selbst die gehäkelte Klorolle auf der Hutablage im Auto ist eine Form von Luxus und Überfluss. Es ist der Überfluss, der das Menschsein definiert.

Worin besteht für Sie ein erfülltes Leben im Überfluss?

Dass man machen kann, was man will. Für mich muss immer was passieren, es muss vorwärtsgehen. Ich liebe meinen Garten, aber ich habe es mir noch nie mit einem Liegestuhl dort bequem gemacht.

„Ein unglücklicher Koch kann nicht gut kochen“

Also kein Müßiggang?

Dafür brauch ich nur Sekunden.

Wie sieht ein typischer Tag von Vincent Klink aus?

Um halb fünf stehe ich auf. Dann schalte ich die Kaffeemaschine an, gehe in mein Musikhaus und blase meine Trompete. Das mache ich zehn Minuten, und dann trinke ich Kaffee und lese die Zeitung im Stehen. Danach muss ich mich zusammenreißen, nicht wieder die Trompete zu nehmen, denn jetzt ist der Laptop dran. Schreiben bis um halb neun. Dann bin ich im Restaurant. Um halb zwei wird Siesta gemacht. Um drei übe ich wieder Trompete. Um sechs bin ich wieder im Restaurant.

Viele Schriftsteller wie Grass und Böll sind zu Ihnen ins Restaurant gekommen. Was bedeutet Ihnen das?

Überhaupt nichts. Ich lebe zu 90 Prozent von ganz normalen Leuten, die ihren Hochzeitstag feiern, von Dresden mit dem Zug anreisen oder sonst woher kommen. Das sind tolle Gäste. Über prominente Gäste rede ich nicht. Nur so viel: Politiker kommen selten, und das ist auch gut so.