: Hanna ist nicht mehr allein
SENDUNG Die „Vollzeitaktivistin“ Hanna Poddig findet Gehör für ihre Systemkritik, weil sie Lebensmittel aus Abfallcontainern isst
■ Buch: „Organisierte Unverantwortlichkeit“, SeitenHieb-Verlag (Hrsg.), 2009. Mini-Reader zum Filz zwischen Konzernen, staatlicher Kontrolle, Wirtschaftsförderung und Lobbying in der Gentechnik in Deutschland.
■ Musik: „Mutabor“. Polit-Ska-Reggae-Blockflötenpunk; „Klaus der Geiger“. Politische Straßenmusik; „Quetschenpaua“. Politischer Ukulelenpunk mit Quetschkommode.
■ Links: www.contratom.de, Umfangreiche Informationsseite eines norddeutschen Netzwerks gegen Atomkraft; www.rote-hilfe.de, Zusammenschluss von Menschen, die von Repression Betroffenen finanziell und mit Ratschlägen zur Seite stehen.
■ Nachtisch: Veganes Tiramisu. Aus Tofu, Soja- oder Hafersahne, Margarine, O-Saft, Zucker und zwei Packungen veganer Kekse oder Zwieback.
VON MARTIN REICHERT
Weit, weit weg, auf halber Strecke zwischen Donnerstag und Nordpol, irgendwo hinter Taschenbierstadt, liegt das Grasland, ganz von hohen Bergen eingeschlossen. Dort wohnen die Opodeldoks aus der Augsburger Puppenkiste. Nur zwei Dinge scheinen ihnen wichtig: Das eine ist Gras, woraus sie einen vorzüglichen, wenn auch auf die Dauer etwas langweiligen Salat herstellen, und das andere sind Hühner.
Dort ist Hanna Poddig, die „Vollzeitaktivistin“ im Kampf für eine bessere Welt, aufgewachsen. Zumindest ein bisschen, in ihrer Fantasie. Denn die Opodeldoks, eine vierteilige Serie der Puppenkiste, liefen zu Hause bei den Poddigs im kleinen Dorf Werneck bei Schweinfurt im Fernsehen, als sie noch klein war. Und Hanna, geboren, ein Jahr bevor der Reaktor von Tschernobyl in die Luft flog, 1985, sah diese Serie mit dem Umweltschutz-Appeal dieser Zeit gerne.
Sie erinnert sich an ihre Kindheits-Hitliste, als sie in einer Berliner Queer-Punk-Kneipe im alternativen Berliner Stadtteil „Kreuzkölln“ in die Karte blickt, denn die ist, schräg muss es ja sein in einer Queer-Kneipe, in einen trashigen Erzählband von Enid Blyton eingebunden – „‚Als Hitler das rosa Kaninchen stahl‘ von Judith Kerr habe ich in der fünften Klasse gelesen, das hat mich eher geprägt als Enid Blyton. Aber auch Pipi Langstrumpf“, erzählt Hanna Poddig. Sie möchte ein Glas Rotwein – und lacht von Herzen auf die Nachfrage, wie schlimm es denn wohl sei, wenn nun ausgerechnet hier in dieser „Sexismus-und-Rassismus-freien Zone“, so steht es sinngemäß an der Eingangstür, kein Biowein ausgeschenkt würde. In dieser Gaststätte verkehren Menschen in ihrem Alter, die oft ähnlich denken wie sie, anders sein wollen.
Hanna und der Container
Im Jahr 2009 war Hanna Poddig, mittlerweile 24 Jahre alt, selbst ganz oft im Fernsehen, sogar bei Maybritt Illner. Als Container-Hanna, als diese junge, gut aussehende Frau also, die in den Abfall-Containern von Supermärkten nach Essen und Kleidung sucht, ernsthaft die Welt verändern will und trotzdem lachen kann. Sie hat ein Buch geschrieben, „Radikal mutig. Meine Anleitung zum Anderssein“. Sie will das System so nicht mehr. Sie will keine Kriege, keine Regierungen, keinen Atommüll, keinen Genmais. Und sie will durch ihr persönliches Beispiel zeigen, dass es auch ohne dieses System geht. Andere hoffen dieses System mit Hilfe eines „New Green Deals“ doch noch irgendwie in die richtige Richtung umdirigieren zu können – als Kapitalismus in Einklang mit Mensch und Natur. Hanna Poddig glaubt jedoch nicht, dass Wachstums- und Profitdenken in Einklang mit Mensch und Natur zu bringen ist.
Mit dem Containern ist sie bekannt geworden, denn so was passt gut in die Format-Container der Medien. Hanna Poddig weiß das, und die Medien bekommen auch, was sie wollen, damit Hanna unauffällig ihre eigenen Botschaften einschmuggeln kann: „Die Welt verändern, das geht nur über die Köpfe der Menschen.“ Und wenn sie die erreichen will, braucht sie die Medien, „ich sehe das strategisch“, sagt sie. Bei Maybritt Illner haben sie über zwei Millionen Menschen gesehen: „Als ich im Jahr 2006 kurz vor dem Klimagipfel aufs Brandenburger Tor gestiegen bin, um ein ‚Kohle killt‘-Plakat aufzuhängen, hat das kaum jemand mitbekommen. Und jetzt, drei Jahre später, läuft es im WDR. Das ist doch super“, sagt sie nüchtern.
Es lief auch super in diesem Jahr für Hanna Poddig. Und diejenigen, die es gut mit ihr meinen, möchten sie gerne als Symbol dafür nehmen, dass die Jugend von heute wieder politischer, engagierter und ernsthafter ist. Und dann antwortet sie, dass sie keineswegs glaube, dass die Bewegungen, für die sie sich starkmacht, in diesem Jahr erstarkt seien: „Stärker geworden ist nur die Antimilitarismus-Szene, da sind viele junge Leute dazugekommen, die über die Uni-Streiks aktiviert wurden. Aber die Renaissance der Anti-AKW-Bewegung ist bloß herbeigeredet. Auch die Feldbefreier mussten mit großen Rückschlägen leben, auch weil die Gegner dazugelernt haben und ihre Felder besser bewachen lassen.“
Draußen, vor der Tür der Queer-Punk-Kneipe, ist auch Bewegung, die zum Nachdenken anregt. Der Miet-Transporter von gerade im Viertel einziehenden Studenten rammt beim Einparken einen knallneuen Mercedes, aber es ist bloß ein Versehen und keine politische Aktion. Hanna Poddig findet nämlich, dass „Zerstörung eines der weniger effektiven Mittel des Widerstandes ist“. Sie verteilt lieber Flugblätter, spricht bei den Aktionärsversammlungen von Eon, spielt Straßentheater. Sie kettet sich an Gleise, klebt Aufkleber auf Wahlplakate, veranstaltet Lesungen. Sie ist überall und immer, jeden Tag, Vollzeit: „Meine Mutter war bei den Grünen, mein Vater hat sich gegen Autobahnbau engagiert, aber immer nur nebenbei. Mir reicht das nicht“, erklärt Hanna.
Trotzdem sind ihre Eltern stolz auf sie: „Meine Mutter findet toll, was ich mache, mein Vater hat allerdings schon Angst, dass ich mir meine Zukunft verbaue.“ Das Abitur hat sie, aber kein abgeschlossenes Studium. Immerhin war sie dieses Jahr ausnahmsweise mal nicht im Gefängnis. Es sei bloß ein Klischee, dass Kinder von „68ern“ aus Protest ganz anders werden wollen als ihre Eltern, meint sie, „ein von der K-Gruppe geplantes Kind wird nicht automatisch zum Rechtsradikalen“. Sogar ihre ehemalige Sozialkundelehrerin sei nun stolz auf sie, nach einer Lesung in der alten Heimat habe sie zu ihr gesagt, dass sie immer noch ganz die Alte sei, bloß viel erwachsener. Hanna Poddig zeigt ihren Erziehungsberechtigten jetzt mal, wie es richtig geht. Hanna Poddig, die sich noch gut an den Wahlkampf von 1998 erinnern kann, und wie komisch das war, als das örtliche Büro der Grünen in Schweinfurt zum Bundestagsbüro des dortigen Abgeordneten umgebaut wurde, „auf einmal war das Kuschlige weg“. Im Jahr 1998 sollte das Projekt einer ganzen Generation endlich verwirklicht werden, Rot-Grün, das sollte die parlamentarisch-demokratische Einlösung aller linken, alternativen Forderungen bedeuten. Der Wechsel zu Rot-Grün war für sie „prägend“, erklärt sie. Aber dann die Enttäuschung. Ihre Mutter verließ die Grünen, und auch Hanna Poddig, die schon als Kleinkind von den Eltern zu Demos gegen Kraftwerke und den Bau der A 71 mitgenommen wurde, wandte sich von der klassischen Politik ab. Von den Parteien und Institutionen. Auch von den NGOs. Bei Robin Wood saß sie sogar im Vorstand, aber dort bemerkte sie auch, dass sie es „nicht leiden kann, wenn Einzelne alles an sich reißen“. Die Macht ist ihr suspekt, nicht mal Teil einer Bewegung möchte sie sein. Hanna kämpft, als Kind ihrer Zeit, lieber alleine.
Wie bei Monty Python
Vor der Tür tut sich schon wieder etwas. Ein Trupp junger Männer kommt und überklebt jenes aktivistische Plakat, das ein anderer Trupp eben erst auf die Schaufensterscheibe der Kneipe geklebt hat. Hanna Poddig freut sich über so viel Engagement, auch wenn es ihre These bestätigt, dass die Szene in Berlin irgendwie zersplittert ist: „Das ist hier wie bei Monty Python, wenn die Judäische Volksfront kommt. Die Stadt ist so groß, dass die einzelnen Gruppen auch ohne einander klarkommen. Die Leute setzen sich nicht an einen Tisch. Und Berlin ebnet sowieso alles ein.“ Es ist für sie leichter, in einer Stadt wie Lüneburg zum Gespräch zu werden, wo es zum Beispiel verboten ist, auf Bäume zu klettern. Da liegt die Protestform im Rahmen des kreativen Widerstands einfach nah. Nächstes Jahr will sie in ein Dorf ziehen, nicht zwischen Donnerstag und Nordpol, sondern zwischen Leipzig und Dresden. „In Berlin bin ich sowieso meist nur, um mich zu erholen. Aber dazu brauche ich keine Großstadt. Ich bin eigentlich eine Widerstands-Nomadin.“ Und Nomaden brauchen kein Zuhause und wohl auch kein Ziel.
Hanna Poddig ist in diesem Jahr gut vorangekommen auf ihrem Weg, denn sie hat es durch ihre mediale Präsenz geschafft, in die Köpfe der Menschen zu kommen. Auch wenn man nie wissen kann, was in diesen Köpfen nach ihrer Ankunft geschieht. In ihrem Umfeld gibt es Leute, die ihr unterstellen, dass sie bloß Werbung machen wolle für sich und ihr Buch, wenn sie sich – nur unter der Bedingung natürlich, dass sie mit veganer Schminke zurechtgemacht wird – ins Fernsehen setzt. Gerade hat sogar jemand angefragt, ob er nicht ein Praktikum bei ihr machen könne, und dann hat man es ja auch auf eine Art geschafft in dieser Gesellschaft. Sie überlegt nun gerade, wie sie das anstellen soll mit dem Praktikanten. Ohne Büro, ohne Geld, ohne festen Standort. Aber natürlich will Hanna Poddig ihre Unterstützung nicht verweigern.
Natürlich nicht. So ist sie immer, Vollzeit. Stets bleibt sie in intensivem Kontakt mit ihrem Gegenüber, sagt kluge Dinge, ist differenziert, selbstkritisch. Und zieht durch. Nach dem zweiten Glas Rotwein ohne Biosiegel soll sie doch bitte mal gestehen, dass sie auch ab und zu mal zu McDonald’s geht und einen Burger isst oder sonst wie vom rechten Weg abkommt: „Ich könnte ja jetzt auch sagen, ‚Es gibt kein richtiges Leben im falschen‘, aber eigentlich schmeckt es mir dort nicht und ich esse kein Fleisch.“ Vielleicht doch manchmal Sehnsucht nach Luxus? „Neulich habe ich im Container einen engen, beigen Mantel von H&M gefunden, da habe ich mich gefreut, so ein schöner Mantel.“ Einfach mal Geld raushauen und shoppen? „Na ja, also manchmal kaufe ich mir schon Edeltofu im Bioladen, obwohl ich genauso gut Essen aus dem Container hätte holen können.“ Und dann Volltreffer: „Ich verzichte doch auf nichts, ich habe diese Bedürfnisse ganz einfach nicht.“
Kurze Zeit nach dem Zusammentreffen mit Hanna Poddig in der Queer-Punk-Kneipe bei Rotwein und Kerzenlicht ist sie wieder im Fernsehen zu sehen, als Container-Hanna mit Container-Klamotten bei Sandra Maischberger. Sie sitzt auf dem Sofa neben einer gewissen Marianne Baronin Brandstetter, die sich über Ehelichungen Millionen und Adelstitel angeeignet hat und einen bizarren Hut trägt. Das Thema heißt heute „Gier macht glücklich“, und die giergeile Baronin sagt zu Hanna, dass sie nach Container und Abfall rieche und besser mal ein Parfum benutzten solle. Alle in der Runde fallen über Hanna Poddig her wie ein Einsatzkommando der Polizei im Wendland.
Licht aus Wind
Es ist so leicht, Hanna Poddig nicht ernst zu nehmen. Sie wahlweise als naiv oder „vulgärsozialistisch“ zu bezeichnen, ihr Hassmails zu schicken, in denen steht, dass sie doch bitte in eine Höhle ziehen möge, wo nur Licht brennt, wenn der Wind weht. Solche Mails bekommt sie tatsächlich. Sie kann Menschen sehr aggressiv machen, weil sie mit ihrem heiligen Ernst imstande ist, in jedem Einzelnen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Schuldgefühle ob des eigenen Einknickens, Trauer ob des eigenen, längst ramponierten Menschenbildes. Andere Menschen schicken ihr Liebesgedichte oder möchten sie heiraten.
Als sie nach dem Treffen in der Kneipe nach Hause geht in ihre 12er-Veganer-WG, wirkt sie doch sehr allein. Hoffentlich hat sie Menschen, die auf sie aufpassen und ihr nach solchen Sendungen nicht bloß sagen, was sie jetzt wieder strategisch falsch gemacht hat. Sondern auch einfach mal, dass sie nicht stinkt, sondern dufte ist.
■ Martin Reichert, 36, ist sonntaz-Redakteur und Kreuzköllner