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Archiv-Artikel

Soll man die Weihnachtsfeiertage in Deutschland verbringen?

PRO

NATALIE TENBERG ist Redakteurin im Kultur- und Gesellschaftsressort der taz, taz zwei

Das Wetter nervt, die Menschen sowieso. Der Körper leidet an akuter Überzuckerung und gelegentlich kommt Panik auf, wie das alles zu schaffen sein soll, mit dem Packen, den Geschenken, mit den Vorräten, die anzulegen sind, weil die Geschäfte zu dieser Zeit für moderne Zeiten undenkbar lang geschlossen bleiben. Blöd ist nicht, wer zur Weihnachtszeit mit dem Gedanken spielt, das Land zu verlassen. An den Strand nach Asien, zum Skifahren in die Alpen oder eben wie die junge niederländische Seglerin Laura Dekker in die Karibik. Aber lohnt sich das? Nein, ganz bestimmt nicht!

Zwar kann ein Weihnachtsfest weitab von der Heimat vielleicht vom Druck befreien, der damit einhergeht, ein Fest voller Erwartungen bestreiten zu müssen. Doch gleichzeitig liegt in dieser Flucht eine verpasste Chance. Nämlich die, endlich mal Frieden zu schließen, mit der Familie. Oder der Heimatstadt, in der man schon seit Jahren nicht mehr lebt und in die man aber zurückkehrt. Natürlich wirkt die hässlich, spießig und gar nicht wie ein Sehnsuchtsort. Aber sicher leben auch hier ein oder zwei Menschen, mit denen man gerne einmal im Jahr in glühweinseliger Atmosphäre zusammenkommt. Die verabreden sich sowieso schon seit Wochen über Facebook, wer möchte das also verpassen. Bleiben nur noch die Eltern, die Geschwister, die angeheiratete und auch die nachwachsende Familie. Mit denen kann man sich streiten, muss man aber nicht. Ich jedenfalls halte mich mit dem Dooffinden Ende Dezember zurück.

Darin, unkritisch zu sein, liegt auch ein Luxus, den sich eben nicht leistet, wer Weihnachten unbedingt verreisen möchte. Schließlich liegt in den jährlich wiederkehrenden Weihnachtsritualen, ja auch in der Diskussion um die Gans und den Wein, um den Baum und den Schmuck, etwas beruhigend Kontinuierliches.

Ich nehme das gerne an. Dafür muss ich nur das Wetter, die Überzuckerung, die Panik und das Packen aushalten. Meiner Meinung nach ein kleiner Preis dafür, dass mir meine hässliche Heimat wenigstens einmal im Jahr glanzvoll und festlich erscheint.

CONTRA

RALF SOTSCHECK ist Irlandkorrespondent der taz und lebt in Dublin Foto: Derek Spears

Weihnachten ist überall lästig, aber im Gegensatz zu Deutschland macht man in Irland das Beste draus. In Deutschland herrscht zu Weihnachten Kontaktsperre. Die jungen Leute fahren pflichtschuldig zu den Eltern und richten sich auf drei Familientage ein, abgeschottet von der Außenwelt und ohne Fluchtweg. Man sieht ihnen die Angst an, wenn sie sich auf deutschen Bahnhöfen zum Weihnachtstransport sammeln: Sie sehen aus „wie eine besiegte Armee“ (W. Droste).

In Dublin geht man am Heiligabend auch zum Bahnhof – aber aus anderen Gründen. In den Zügen vom Land ist ein Waggon für die Truthähne reserviert. Dort hängen sie, mit dem Kopf nach unten, an Eisenhaken und haben ein Namensschildchen ums Bein gebunden. Dabei handelt es sich um den Namen der Dubliner Familie, der das Tier von der bäuerlichen Verwandtschaft zum Verzehr geschickt wurde.

Am Abend geht es zum Vorglühen ins Wirtshaus. Am ersten Weihnachtsfeiertag sind die Pubs geschlossen, aber dafür haben die Iren einen schönen Brauch erfunden: Die halbe Nation ist vormittags unterwegs, um die andere Hälfte zu besuchen und sich gemeinsam, bei einem Gläschen Hochprozentigen, auf das Festmahl vorzubereiten. Der Truthahn kommt diesem Weihnachtsumtrunk sehr entgegen. Man schiebt den Vogel vormittags in die Bratröhre und muss sich nicht mehr um ihn kümmern, bis er gar ist – im Gegensatz zur deutschen Weihnachtsgans, die ständig beschöpft werden muss. Außerdem gibt ein Truthahn mehr her, man braucht sich in den nächsten Tagen nicht um das Mittagessen zu kümmern, sondern vertilgt die Reste. Zwar sieht das Tier in rohem Zustand recht hässlich, fast anstößig aus, so dass man ihm am liebsten ein Leibchen überziehen möchte, aber wenn es aus der Bratröhre kommt, bietet es einen stattlicheren Anblick als ein Gänschen.

„Wirklich eine abstoßende Institution, dieses Weihnachten“, hat der Dubliner Schriftsteller George Bernard Shaw einmal geschrieben. „Wir müssen uns vollfressen und betrinken, nur weil Weihnachten ist.“ Das ist ja das Gute an irischer Weihnacht.