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Archiv-Artikel

„Ich muss die dann wieder aufputzen“

NIEDERLANDE Der Motivationstrainer Emile Ratelband hat die holländischen Europameister von 1988 gecoacht. Sein Credo: Jeder muss seinen Platz kennen, auch als „kleines Rädchen“. Und aus Vergnügen Leistung bringen

Emile Ratelband

■ 61, ist Motivationstrainer. Berühmt: sein aufbauendes „Tschaka!“

Sein Team: Argentinien – wegen Maradona, der hat sich von ganz unten wieder hoch gekämpft und gezeigt, dass es niemals ein „Das geht nicht“ gibt.

Sein Spieler: Wesley Sneijder – wegen dessen zukünftiger Frau.

Sein Fußballstil: südamerikanisch, weil die tanzen und sich nicht benehmen und Regeln dazu da sind, gebrochen zu werden.

Foto: Archiv

INTERVIEW FRAUKE BÖGER

taz: Herr Ratelband, die niederländische Mannschaft ist bisher noch nicht so positiv aufgefallen bei der WM – jedenfalls nicht spielerisch. Fehlt ihnen die Motivation?

Emile Ratelband: Nein, sie hatten bisher einfach nicht die Gegner, die mehr Engagement notwendig gemacht hätten. Und sie sparen sich ihre Kräfte für die großen Gegner ab dem Viertelfinale: erst Brasilien, dann Deutschland. Am meisten motiviert ist Wesley Sneijder, er heiratet in einigen Wochen. Man kann sagen, dass seine Frau Yolanthe Cabau van Kasbergen den meisten Einfluss auf die Mannschaft hat. Sie ist immer dabei, unterstützt und motiviert.

Aber eine Mannschaft, in der nur ein oder zwei Leute die Show machen, muss doch demotiviert sein.

Das ist wie in einem großen Unternehmen: Jeder muss wissen, wo sein Platz ist. Und die, die weiter hinten spielen, sind eben die Diener derjenigen, die die Tore machen und im Rampenlicht stehen. Das wissen sie. Die Spitzen sind das Wichtigste. So soll das auch sein, die Gruppe soll man nicht bemerken. Die meisten machen die Arbeit und der oben hat den Triumph.

Diener? Da hätte ich keine Lust mehr, auf den Platz zu gehen.

Die sind das gewöhnt. Wichtig ist, dass alle ihre Rolle kennen und wissen, dass ohne sie nichts geht. Das ist wie bei der Tour de France. Oder wie bei einer Uhr, da brauchen Sie auch viele kleine Rädchen, denen niemand Beachtung schenkt. Das, was ich mache, ist wichtig und ohne mich gibt’s nichts. Die meisten denken, die Kleinen wären nicht wichtig, aber das ist nicht so. Wenn sie nur ein Rädchen rausnehmen, hört die Uhr auf.

Ist das Ihre Strategie, mit der Sie Sportler und Unternehmer motivieren? Ihnen klarzumachen, dass sie kleine Nummern sind?

Es geht darum, eine authentische Motivation zu wecken. Eine, die weder auf Geld noch auf Ruhm aus, sondern echt ist und sie ihr Spiel aus Vergnügen machen lässt. Es geht darum, ihnen klarzumachen, dass sie nur geben sollen und nichts erwarten. Wenn man aus sich selbst heraus motiviert ist, fühlt man keine Schmerzen oder Probleme, dann macht man einfach nur und kann ausgezeichnetes Verhalten auf lange Zeit produzieren.

Wie kommt man dahin?

Man muss ich von allem Materiellen verabschieden. Jeder muss zufrieden sein mit der Belohnung, die er bekommt. Er soll nur geben und überhaupt nichts erwarten. Als ich die niederländische Nationalmannschaft Ende der achtziger Jahre betreut habe, habe ich sie dazu gebracht, auf ihr Geld zu verzichten und es einem guten Zweck zu spenden. Da waren die auf einmal so frei und haben mit so viel Vergnügen gespielt, es war eine Freude. Und so wurden sie Europameister.

Was war Ihre Aufgabe als Motivator der Nationalmannschaft?

Darüber darf ich nicht so genau sprechen. Die Trainer haben damit Schwierigkeiten.

Würden Sie es gern wieder tun?

Ja, ich bekomme auch viele Anfragen von Verbänden, aber oft sind es die Trainer, die verhindern, dass ich den Job bekomme.

Weltmeisterschaften sind ja nicht nur für die Fußballspieler motivierend, auch die Leute sind euphorisch und enthusiastisch. Ist dass eine authentische Motivation?

Ja, die Euphorie ist schon unglaublich, gerade in den Niederlande. Und in Südkorea und Japan ist der Bierumsatz um 30 bis 40 Prozent gestiegen, absurd. Ich merke in Holland eine seltsame Verbundenheit. Es heißt dann: „Wir gegen die und die“ und „Wir haben es geschafft“. Aber: Wir machen nichts und saufen Bier auf der Terrasse. Ich kann damit nichts anfangen.

Also bringt eine Weltmeisterschaft nix für das gesellschaftliche Wohl?

Eine Weltmeisterschaft ist wie eine Droge, sie wirkt unglaublich aufputschend, aber danach kommt der Tiefpunkt. Die Leute drogieren sich mit dem Erfolg. Der Tiefpunkt kommt immer. Dann sieht man ganz Holland ganz unten. Das hat man ja in Holland schon oft erlebt, dass nach dem Ausscheiden geweint und gezetert wird, dass es kaum auszuhalten ist. Und ich muss die dann wieder aufputzen.

Das war ja bei den Südafrikanern anders. Warum?

Die hatten nichts zu verlieren, weil sie nichts erwartet haben.

Woher nehmen Sie Ihre persönliche Motivation?

Ich gebe so viel und kriege so viel zurück, da wird die Batterie permanent wieder aufgeladen.