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Archiv-Artikel

„Ich verlor die Hoffnung“

NS-GESCHICHTE Eine kleine Ausstellung widmet sich den Todesmärschen von KZ-Häftlingen

Die Zahl der Opfer war groß, die Zahl der Täter auch

„An einem bestimmten Punkt dieses Todesmarschs verlor ich jede Hoffnung“, erinnert sich Eric Imre Hitter, ein jüdischer KZ-Häftling. „Ich konnte nicht mehr weitergehen, und ich wusste, dass ich sterben würde. Dies war ein zentrales Erlebnis. Ich war mir sicher: Das ist mein Ende.“ Doch dann hätten ihn zwei Häftlinge in die Mitte genommen, untergehakt und mitgeschleift.

Mit diesen bewegenden Worten schildert Hitter den Moment, der ihm das Leben rettete. Er gehört zu den nach HistorikerInnenangaben rund 785.000 Gefangenen, die in den letzten Monaten des NS-Regimes von SS-Mannschaften, Polizei und freiwilligen Helfern auf der Flucht vor den Alliierten durch ganz Deutschland getrieben wurden.

Eine Ausstellung im Foyer der Stiftung Erinnern, Verantwortung und Zukunft (EVZ), zu deren Eröffnung Hitter sprach, beschreibt noch bis zum 22. Januar die Todesmärsche. Auf sieben Schautafeln hat die Historikern Susanne Urban Zeugnisse von Opfern, Überlebenden und AugenzeugInnen des letzten organisierten Massenverbrechens der Nazis zusammengestellt. Ein Großteil der schon durch die KZ-Haft geschwächten Gefangenen überlebte die Märsche nicht. Wer zu fliehen versuchte oder nicht gehen konnte, wurde erschossen. Zudem gab es Massenerschießungen von Gefangenen, damit sie nicht von den Alliierten befreit werden konnten. Auch mitten durch Berlin wurde ein Zug von Gefangenen auf den Weg von Lieberose nach Sachsenhausen getrieben.

Günter Saathoff vom Vorstand der EVZ spricht am Eröffnungsabend von „Massenverbrechen im doppelten Sinne“. Die Zahl der Opfer sei groß gewesen, aber auch die Zahl der Täter. An den Morden beteiligten sich neben der SS auch Zivilisten, darunter der „Volkssturm“ und die Hitlerjugend.

Die Ausstellung macht die Absurdität der Behauptung großer Teile der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit deutlich, sie habe von den NS-Verbrechen nichts gewusst. Ausreden dieser Art von Bürgermeistern und Amtsträgern sind dort dokumentiert. Dabei ist das letzte Verbrechen der NS-Zeit vor Millionen AugenzeugInnen verübt worden. Die Zahl der Menschen, die den Häftlingen halfen, indem sie ihnen etwa zu essen gaben oder sie versteckten, war hingegen klein.

Die Ausstellung ist ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung dieses letzten NS-Verbrechens nach fast 70 Jahren. Sie sollte allerdings nicht nur im Foyer der EVZ mit ihren eng begrenzten Öffnungszeiten, sondern auch in Bibliotheken, Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden gezeigt werden. PETER NOWAK

■ Bis 22. Januar, Montag bis Freitag 10 bis 15 Uhr. Bitte klingeln. Stiftung EVZ, Lindenstraße 20–25, 10969 Berlin