: „Neubauförderung wirkt“
VORTRAG Stadtbewohner kämpfen um bezahlbaren Wohnraum, die Politik kann steuernd eingreifen
■ 45, ist Geograf an der Universität Köln und forscht zur Geschichte der Gentrifizierung in Deutschland.
taz: Herr Glatter, Gering- und Normalverdiener werden an den Stadtrand gedrängt. Könnte die Mietpreisbremse, die 2015 kommen soll, dem entgegenwirken?
Jan Glatter: In der gesamten Wohnungspolitik ist das nur ein sehr kleines Element, dessen Wirkung nicht überschätzt werden sollte.
Wie sehen wirkungsvollere Instrumente aus?
Hamburg bietet für dessen Erläuterung den besten Standort. Die Neubauförderung, insbesondere für preisgünstige Wohnungen oder Sozialwohnungen, scheint erfolgreich Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen, der derzeit so groß ist wie seit 20 Jahren nicht. Auch städtebauliche Erhaltungssatzungen in den Stadtteilen sind effektiv.
Gibt es Gentrifizierung auch in Kleinstädten und Dörfern?
In Deutschland gelten Künstlerkolonien wie Worpswede als Vorbild. 1889 hat nur niemand von Gentrification gesprochen. Dass Dörfer von jungen Kreativen und gut Zahlenden entdeckt werden, die dort Immobilien kaufen und diese sanieren, damit so ein Ort baulichen und sozialen Aufstieg erfährt, das gibt es auch heute – es hat nur noch niemand genauer hingeschaut, da es kaum publik gemacht wird.
Gibt es konkrete Beispiele?
Im US-Bundesstaat Connecticut sind Gentrification-Tendenzen erkennbar. Dort spricht man von „rural gentrification“. In Deutschland hat sich die bisher einzige Diplomarbeit zu dem Thema mit sogenannten Verdachtsorten bei Dresden auseinandergesetzt. Auch im Berliner und Hamburger Umland gibt es Orte, wo es jetzt „hip“ ist, hinzuziehen. Es sind dann allerdings selten Investoren, die in den ländlichen Raum investieren. Vielmehr erkennen Einzeleigentümer dessen Attraktivität, die zum Beispiel alte Scheunen umbauen und schick gestalten.
Wenn sich dieser Trend durchsetzt, könnte dann wohlmöglich die Abwanderung aus Dörfern gestoppt werden?
In der Lausitz, in der Region Zittauer Berge, gab es Versuche, um die Gentrification auf Dörfern anzustoßen. Bisher sind es nur kleine Einzelprojekte, die dort umgesetzt wurden. Es fehlt bisher an einer Dynamik oder einem Selbstverstärkungsprozess, der in den Dörfern ausgelöst wird. INTERVIEW: TGL
Jan Glatters Vortrag „Gentrification in der Bundesrepublik – eine Bestandsaufnahme“ ist der Auftakt zur Veranstaltungsreihe „Gentrification – Wissenschaft trifft Wirklichkeit“ der Lawaetz-Stiftung: 18 Uhr, Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69a, Eintritt frei