Wie mit Extremisten umgehen?

620 SALAFISTEN IN BERLIN

Die Senatsinnenverwaltung finanziert seit 1. April ein Deradikalisierungsprogramm

Sagt ein Schüler zum Lehrer: „Die Scharia ist mir wichtiger als das Grundgesetz!“ Wie sollte der Lehrer darauf reagieren? a) den Verfassungsschutz anrufen? b) im Unterricht eine Diskussion entfachen? – Mit diesem Beispiel hat der Islamwissenschaftler Jochen Müller am Mittwoch im Verfassungsschutzausschuss die Problemlage skizziert. Müller hat Ufuq.de gegründet. Das ist ein Verein, der sich auf Prävention spezialisiert hat. Ufuq versucht, Jugendliche zu immunisieren, damit sie Islamisten nicht auf den Leim gehen.

Prävention setzt weit im Vorfeld von Radikalisierungsprozessen an. Anfällig für die Propaganda von Islamisten seien Jugendliche, die keine Anerkennung erfahren, die familiäre Probleme haben, sozial isoliert sind, sagt Müller. Das könne Migrantenkids genauso betreffen wie gebürtige Deutsche.

Vor allem aber auch für Lehrer und Sozialarbeiter bietet Ufuq Fortbildungen an. Viele Pädagogen seien auf dem Gebiet absolut hilflos, hat Müller festgestellt. Die Schulen hätten einen riesengroßen Beratungsbedarf.

Prävention ist das eine. Deradikalisierung das andere. Hier geht es darum, eingeschworene Extremisten mit einem individuell zugeschnittenen Programm von ihrem eingeschlagenen Weg abzubringen. Das kann ein langwieriger Prozess sein, wenn es überhaupt gelingt.

Die Senatsinnenverwaltung finanziert seit dem 1. April ein Deradikalisierungsprogramm. 100.000 Euro – fünf Jahre lang – sind dem Violence Prevention Network zugesagt worden. Das hat mit dem Geld die erste vom Land Berlin finanzierte Beratungsstelle für Deradikalisierung – Kompass genannt – ins Leben gerufen.

Zeit wurde es, dass auf dem Gebiet etwas passiert. Laut Verfassungsschutz leben rund 620 Salafisten in der Hauptstadt, 330 sind als gewaltbereit eingestuft. 90 Berliner haben sich laut Verfassungschutzquellen in den letzten Jahren in Richtung Syrien und Irak aufgemacht, um sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen. Rund 30 sind wieder zurückgekehrt.

Prävention und Deradikalisierung sind unterschiedliche Dinge. Und doch gehört beides zusammen. Eine Reihe von NGOs, auch in Berlin, hat auf dem Gebiet mittlerweile Erfahrung erworben. Ufuq ist eine dieser Gruppen. Nun müsse eine ressortübergreifende Koordinationsstelle geschaffen werden, die die Kompetenzen bündelt und ein Netzwerk für die Stadt bildet, forderten die Experten am Mittwoch. Auch eine Anlaufstelle für die Bevölkerung sei erforderlich.

Klingt vernünftig. Nur leider gibt es da ein Problem: Weder der CDU-Innensenator noch die SPD- Schulsenatorin will die Federführung für diese Stellen übernehmen. PLUTONIA PLARRE