Was die Kamerafau so besonders macht

WERKSCHAU Delphine und ihr Bild kommen nicht zusammen: Das Arsenal-Kino zeigt Filme der begnadeten Kamerafrau Sophie Maintigneux, die sich um den vakanten Posten der DFFB-Direktion beworben hat

Delphine ist eine, der man gar nicht zuhören muss, um sie zu verstehen

VON CAROLIN WEIDNER

In Éric Rohmers fast schon zur Metapher gewordenem Film „Das grüne Leuchten“ von 1986 rutscht Delphine (Marie Rivière) allen Anwesenden immer wieder wie ein nasses Stück Seife aus den Händen. Sie ist da, sie verschwindet bald. Niemand weiß es ihr recht zu machen, dabei versuchen es gar nicht mal wenige. Männer wie Frauen und sogar ein Kind. Was für ein flüchtiges Geschöpf Delphine ist, das wird jedoch nicht nur auf Dialogebene erkenntlich – ein Gespräch zwischen ihr und einer Freundin, gespielt von Béatrice Romand, kreist minutenlang weniger um einen konkreten Sachverhalt als um das unterschiedliche Temperament der beiden Frauen. Delphine ist eine, der man gar nicht zuhören muss, um sie zu verstehen. Sie zu beobachten reicht.

Es reicht vor allem deswegen, weil die Kamerafrau Sophie Maintigneux sie in ihrer Arbeit so bildhaft werden lässt. Dreiundzwanzig Jahre ist Maintigneux damals gewesen, als sie für den Meister Rohmer „Das grüne Leuchten“ gefilmt hat. Und mit ihm ist gleich ein Film entstanden, der einen Goldenen Löwen gewonnen hat und für den Marie Rivière einen Darstellerpreis in Venedig erhielt. In einem Interview mit dem österreichischem Filmmagazin ray von 2010 sagt sie: „Das war für mich eine sehr emotionale Erfahrung, denn wenn eine Darstellerin einen Preis bekommt, hast du als Kamerafrau einen kleinen Anteil daran.“

Was Maintigneux in „Das grüne Leuchten“ macht, besonders in den ersten Minuten: Sie lässt diese Delphine und ihr Bild nicht zusammenkommen. Es ist, als ob die Kamerafrau der Figur den Rahmen anbieten würde, den diese aber nicht annehmen kann oder will. Mal ist die Bildvorgabe „zu hell“ und Delphine muss an den Bildrand fliehen oder gleich ganz aus ihm verschwinden. Sie kann nicht sein. Nicht am Strand, nicht in den Bergen, nicht in Paris. Was aber geht: Eiscreme von einem Teller löffeln, im Bett, wo draußen doch herrliches Sommerwetter ist. Schön und sonderbar. Diese Delphine. Und dabei eigentlich so leicht zu begreifen, in ihrer Abneigung vor dem Geschwätz, den Plattitüden und dem allzu eindeutigen Aufriss. Maintigneux zeigt das. Und es steckt ein großes Feingefühl dahinter, dass die damals so sehr junge Frau das transportieren konnte – trotz und wegen des strengen Compositeurs Rohmer.

Nicht ohne Grund widmet ihr das Arsenal nun also eine eigene Retrospektive, in der es vier Spiel- und fünf Dokumentarfilme aus den Jahren 1986 bis 2013 zeigt, für die Maintigneux die Kamera führte. Darunter zwei bemerkenswerte Filme von Marcel Gisler, „Fögi ist ein Sauhund“ von 1998 und „Rosie“, der jüngste der Reihe, aus dem Jahr 2013. Auch in ihnen wird ersichtlich, was die Französin, die in den späten 80er Jahren für ein Projekt Michael Kliers nach Westberlin kam und blieb, so besonders macht.

„Fögi ist ein Sauhund“ etwa ist eine nicht um Drama verlegene Liebesgeschichte zwischen dem 16-jährigen Benni und Fögi, einem Rocksänger, den Benni zunächst nur von Weitem anhimmelt, bevor dieser ihm Zutritt zu seinem Bett gewährt. Das Setting sind die 70er Jahre, es werden Trips geworfen und Maintigneux bringt sowohl Bennis drogeninduzierte Bewusstseinserweiterung zum Ausdruck als auch das emotionale Verschüttgehen (das gleichsam Erweckung ist) im gemeinsamen Liebesspiel. Das gebiert sehr intime Bilder, übertrieben, überbordend – verliebt eben.

Ganz anders in Michael Kliers „Ostkreuz“ (1991) mit der wunderbaren Laura Tonke als 15-jährige Elfie, die mit ihrer Mutter in einem Containerlager in Westberlin lebt und auf kleinkriminellen Wegen versucht, an 3.000 Mark zu kommen, die die Mutter für eine Wohnungskaution braucht. Die Stimmung im Film ist ausgewaschen und trüb. Maintigneux übersetzt Elfies Isolation, indem sie ihr Gesicht in Großaufnahmen zeigt, während die der anderen oft sehr weit weg erscheinen. „Ostkreuz“ zeigt Distanzen, die nicht nur im personellen Vakuum zu sehen sind, sondern auch in den Weiten des neuen Berlins. Brachland, wohin das Auge reicht. Gut möglich, dass eine dieser Stadtsteppen auch das Gebiet um den Potsdamer Platz festhält. Hier, wo im Filmhaus auf der Potsdamer Straße 2 sowohl das Kino Arsenal als auch die DFFB zu finden sind. Die Studentenschaft der Filmhochschule hätte Sophie Maintigneux gern als Direktorin, sie selbst würde den Posten gern übernehmen. Doch mit dem Kuratorium gibt es Querelen, eine Chose, die sich schon eine ganze Weile zieht. Die Retrospektive im Arsenal darf vielleicht auch als ein Statement verstanden werden.

■ 17. bis 30. April, Programm unter www.arsenal-berlin.de