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Archiv-Artikel

ABSCHIED

erinnert sich an Meike Jansen

JÖRG SUNDERMEIER

Wir hatten damals alle Angst vor ihr. Wir hatten Angst vor ihr, wenn wir nach Freikarten fragten, für ein Konzert im Forum Enger, damals, Anfang der 90er. Das Forum war ein Club in einem Kaff bei Bielefeld, das ja selbst fast noch ein Kaff ist, und dort war Meike Jansen auch für die Gästeliste zuständig. Und Meike, die alle Forum-Meike nannten, hasste Schnorrer, besonders in ihrem Club. Die hatten nichts verstanden. Und das Forum wurde damals nicht nur, aber auch wegen ihr jedes Jahr in der Spex zum besten Club Deutschlands gewählt. Der Club lag in einem Kaff. Aber Meike war da.

Meike hasste auch Kurt Cobain. Meike musste den Nirvana-Bassisten Krist Novoselić im Tourbus interviewen, nach dem Konzert im Forum, weil Cobain zu zugedröhnt war. „Und dann zündet Cobain die Gardinen im Bus an. Während wir drin sind. Der Idiot.“ Nein, Cobain hatte keine Chance mehr – wenn Meike hasste, hasste sie. Und nichts hasste sie mehr als Dummheit. Als Meike schließlich hörte, dass sich Cobain in seiner Garage erschossen hatte, war ihr erster Kommentar: „Reines Glück, dass keine anderen Leute in der Garage waren. Die hätte der Idiot alle miterschossen.“ Dann taten ihr die Angehörigen leid.

Nach ihrer Zeit im Forum wurde sie Musikmanagerin, als sie das langweilte, zog sie nach Berlin, um dort im Kunsthaus Tacheles zu arbeiten. Natürlich als Kuratorin, Pressefrau, Künstlermami, Best Girl. Sie schimpfte über viele Künstler dort, aber wehe, man selbst schimpfte vor ihr über die Künstler. Meike war hart. Aber immer loyal.

Danach erwählte sie sich die taz und in der taz nahm sie sich dann immer neue Aufgabenfelder: den taz.plan, die Organisation von taz.labs und taz.kongressen, und Meike arbeitete bis zur Erschöpfung. Aber dennoch wurde sie es nicht leid, sich auch bei dem Club Transmediale zu verausgaben und hier was zu kuratieren und da einer Freundin oder einem Freund zu helfen und hier was auf die Beine zu stellen und dort ein paar faschistische Arschlöcher zu vertreiben. Für den Club Transmediale gab sie auch den hochinteressanten Band „Gendertronics – Der Körper in der elektronischen Musik“ heraus. Sie schrieb Katalogtexte, machte Fotos für Buchcover, ging für den taz.plan von einer Ausstellungseröffnung zu nächsten und schrieb an dieser Stelle darüber. Sie war sich nicht zu schade, sich bei Veranstaltungen an die Kasse zu setzen, und sei es nur, um Schnorrern mal so richtig zu zeigen, wie es ist, wenn man als Schnorrer erkannt worden ist. Und selten hat man in Berlin so viele Schnorrer sich selbst erkennen sehen wie in diesen Augenblicken.

Wir hatten damals Angst vor ihr, doch wir irrten uns. Gute Leute durften selbstverständlich schnorren. Ich hatte das Glück, in die Gruppe der guten Leute aufgenommen zu werden. Ich nannte sie, denn ich hatte auch Höllenrespekt vor ihrem Zorn: Königin. Das erlaubte sie. Das fand sie gut. Denn das war sie: eine Königin. Weise, gerecht, ihre Leute beschützend, ihre Leute versorgend, unermüdlich, ohne Rücksicht auf sich. Und sie konnte regieren. Gute Regenten sollen neugierig sein, nein, sie müssen neugierig sein, damit sie weise bleiben – und Meike war stets neugierig. Eine neue Galerie, ein neuer Sound, ein neuer Club, eine neue Kunstrichtung? Das musste sie sich ansehen.

Und wie regte sie sich auf, wenn es langweilig war. Oder halbherzig. Oder blöd. Meike ging es in der Kunst, ging es in der Musik, in der Zeitung um alles, sie verlangte viel, zu Recht, sie gab ja auch viel.

Und feiern wie eine Königin konnte sie auch, eine einzige lange Nacht reichte nicht immer aus für den Feierwillen, den sie hatte. Und am Ende solcher wilder Nächte und Tage, in denen getrunken wurde, geraucht, gestritten und sich versöhnt, dann ging sie ins Bett, ihre enormen Energiereserven auffrischen. Und am Spätnachmittag nach solchen Nächten lag sie auf ihrem Sofa, erschöpft, den Kopfschmerz hinnehmend, und regierte schon wieder ihr Volk, schrieb dieser eine E-Mail, beantwortete jener eine Frage, regelte schnell etwas via Facebook-Chat und telefonierte all denen hinterher, die sie vermisst hatte beim Feiern.

Denn Meike war schon als Forum-Meike eine Künstlerin. Sie arbeitete unermüdlich an einem großen Kunstwerk, und das Kunstwerk waren wir. Sie, die schon bald keine leibliche Familie mehr hatte, baute sich eine Familie, wie sie ihr passte, eine Familie, die in sich funktionierte, eine Familie, die man sich selbst aussuchen konnte, eine Familie, in der es keine Dummköpfe gab, eine Familie, die sie regierte, indem sie ihr diente. So spann sie Netze, führte Leute zusammen, die sich ohne sie nie getroffen hätten, stiftete Freundschaften, arrangierte Liebschaften, und mit der ihr eigenen Mischung aus Wut und Liebe hielt sie die Familie zusammen. Ging es ihren Leuten gut, dann war sie zufrieden, dann saß sie mitten unter uns, bei uns, als Teil von uns. Am Samstag ist die tollste Königin, die es je hat geben können, gestorben.