LESERINNENBRIEFE :
Eine reale Schuld
■ betr.: „Elf Milliarden für die Griechen“, taz vom 8. 4. 15
Die Beiträge von Ulrike Herrmann zur Finanz- und Wirtschaftspolitik lese ich stets mit großem Interesse und erheblichem persönlichem Gewinn. Ihrem Vorschlag aber, den Zwangskredit der Nationalsozialisten in eine Stiftung für die deutsch-griechische Verständigung zu verwandeln, möchte ich entschieden widersprechen. Hier hat Deutschland in meinen Augen nicht nur eine moralische, sondern eine reale Schuld, die es dringend begleichen sollte. Das aber bedingungslos! Es ist Sache des griechischen Volkes und der von ihm gewählten Regierung zu entscheiden, wofür das Geld verwendet wird. Der derzeitigen Regierung traue ich durchaus zu, es zum Wohle des Volkes zu verwenden; sinnvolle und gute Vorschläge dazu gibt es sicher mehr als genug.
Was die gleichfalls im Raum stehende unbewältigte Reparationsfrage betrifft, scheint mir hier der Gedanke an eine Stiftung zur Völkerverständigung eher angemessen zu sein, und zwar für alle Länder, die von der Reparationenfrage betroffen sind. Damit gewänne Deutschland vermutlich viel verloren gegangenes Ansehen zurück, und ich müsste mich nicht länger für das Verhalten der deutschen Regierung in dieser Frage schämen.GERTRUD KAMPHUES, Altenberge
Lesenswerte Texte
■ betr.: „Haben wir versagt?“ von Ivan Ivanji, taz vom 11. 4. 15
Servus, lieber Herr Invanji, und vielen Dank für die vielen lesenswerten, manchmal großartigen Texte, die ich in den letzten Jahrzehnten von Ihnen lesen durfte. Sie haben immer gegen nationalistische (und damit automatisch aggressive und rücksichtslose) Wahrnehmungsmuster angeschrieben. Ihre Schuld ist es sicher nicht, dass der Buchenwaldschwur nicht wahr werden konnte.FERDINAND BURGHARDT, Bochum
Dringend notwendiges Gesetz
■ betr.: „Wo sind die 99,9 Prozent?“, Kommentar von Malte Kreutzfeldt, taz vom 10. 4. 15
Es ist einfach unglaublich, wenn Verdi und ihr Vorsitzender Herr Bsirske, der, wenn ich recht weiß, den „Grünen“ entstammt, Front macht gegen ein Gesetz, das die größten Braunkohle-Dreckschleudern in den nächsten Jahren zur Abschaltung zwingt. Es wäre verständlich, wenn die Gewerkschaften darauf dringen, dass rechtzeitig für die betroffenen Arbeiter nach anderen Arbeitsplätzen gesucht wird. Doch einfach mit einem Nein auf dies dringend notwendige Gesetz zu reagieren, für Kinder und Erzieher zu kämpfen und andererseits einen ersten Schritt für die Erhaltung einer gesunden Umwelt für die Kinder zu boykottieren, ist mehr als schizophren.CHRISTIAN MÜLLER, Berlin
Moderat-vernünftige Vorschläge
■ betr.: „Ist dieser Mann ein Kommunist?“, taz vom 8. 4. 15
Wolfgang Schäuble ist kein Kommunist. Denn es gibt keine Kommunisten mehr. Befinden Unternehmer über die Produktionsmittel? Ja, aber nicht über den Mehrwert. Den müssen sie sich mit ihrer Bank teilen. Im Hinblick auf die Erbenfrage ist kein „Weltuntergang“ in Sicht. Das Haus Schäuble hat sich moderat-vernünftige Vorschläge für den Mittelstand ausgedacht. Die Reaktion der Lobby darauf ist weder moderat und schon gar nicht vernünftig; aber sie gehört zum Ritual! Und vielleicht ist etwas daran, dass der Erbvorgang verschwiegene Werte offenbart. Eine solche Verdächtigung wird genährt, weil der Steuerbeschiss mit Konten in der Schweiz oder auf Inseln in den Weltmeeren das Vertrauen einschränkt.PETER FINCKH, Ulm
Klare Antwort: Nein
■ betr.: „Brauchen wir mehr Psychotherapeuten?“, taz vom 11. 4. 15
Ja, es ist zu spät, um die Streitfrage „Brauchen wir mehr PsychotherapeutInnen?“ für die taz vom 11. 4. zu beantworten. Andererseits: Alle präsentierten Antworten tendieren zu einem mehr oder weniger klaren Ja. Ich bin Psychotherapeutin und meine ganz klare Antwort ist Nein. Die derzeitige „massive Aufwertung“ von Psychotherapie, die Karl Lauterbach in seiner Antwort feststellt, die steigenden Zahlen an psychisch kranken Menschen, besonders an depressiv Erkrankten, aber auch das wundersame Wachstum an Diagnosen im psychiatrischen Bereich scheinen zunächst einmal einen höheren Bedarf an PsychotherapeutInnen zu erfordern. Dieser Aktionismus lenkt aber von folgenden weit bedeutsameren Fragen ab:
1. Warum geht es in unserer reichen Gesellschaft zunehmend mehr Menschen schlecht? Ist das wirklich so? Und wenn ja, welche gesellschaftlichen Verhältnisse liegen dem zugrunde?
2. Wie sprechen wir über das Phänomen, dass Menschen leiden? Ist „Leiden“ immer gleichzusetzen mit einer Erkrankung und somit auch einer Diagnose?
3. Wem nützt die Privatisierung menschlichen Leids? Eine noch so große Armada an PsychotherapeutInnen wird das Problem nicht lösen, sondern noch verstärken, weil es dabei nur um kurzfristige Symptombekämpfung gehen kann. ANDREA SACHER, Unna