berliner szenen Am Kanal (1)

Trinkt man so in Polen

Ist das schon Schnee oder noch Regen? Draußen, im Scheinwerferlicht vorbeifahrender Kleinstwagen, fallen weiß schillernde Girlanden vom Himmel. Ich bin der erste Gast. Die Bar ist einen Steinwurf vom Landwehrkanal entfernt. Bob Dylan nölt ein Lied, das man nicht kennen muss. Mittwochs bedient hier die Lieblingskellnerin. Sie hat das Buch eines ukrainischen Autors neben die Anlage gelegt. Es wird ein ruhiger Abend, denkt sie, denke ich. Das Wetter hält die Leute in den Häusern.

Heute bin ich dreimal nass geworden. Aber Schirme sind uncool, hat mal jemand gesagt. Gibt es hier ein Handtuch?, frage ich. Nein, leider nicht, sagt die Lieblingskellnerin und lacht: Was willst du denn trinken? Ich bin versucht, die Routine der Feierabendbiere zu durchbrechen. Hier dauert ein Pils noch sieben Minuten, kommt mit einer Krone, die jeden Latte-macchiato-Trinker vor Neid platzen lässt. Einen doppelten Wodka, sage ich. Polnisch oder russisch?, fragt sie. Polnisch und auf Eis, sage ich. Wie mittig, sagt sie, und du willst in Polen gewesen sein? Da trinkt man das so, verteidige ich mich. Vielleicht an den Touristen-Abwurfstellen in Krakau, seufzt sie. Bist du heute allein? Nein, der Kollege kommt gleich, sage ich.

Der Kollege hat eine Mütze auf und schimpft schon, bevor er den Mantel abgelegt hat. Über Köln, über Aachen, das Dorf an der belgischen Grenze, wo er herkommt. Er war ein paar Tage nicht in der Stadt. Ein Auftrag und dann, weil er schon lange nicht mehr dort war, die Eltern besuchen. Tante, Onkel, Oma. Das ganze Programm.

Mann, sagt er, ich habe Berlin vermisst. Keine Angst, du hast nichts verpasst, entgegne ich. Der Schnee ist auch nicht mehr wie früher, verpisst sich, bevor er den Boden erreicht. TIMO BERGER