: Die Nacht der drei Hunde
Kältelehren (4 und Schluss): Im tasmanischen Bergregenwald nieselt es im Winter stetig auf den Forscher herunter. Das ist auch gut – so bleibt man wenigstens wach, wenn die Blutegel kommen
VON CORD RIECHELMANN
Es war nur eine kleine Abweichung vom normalen Bild meiner Hose, die mich hatte nervös werden lassen. Eine Art leichter Schlagschatten am Bein, der auch eine optische Täuschung hättte sein können, im dichten Grün des tasmanischen Bergregenwaldes im Cradle-Mountain-Nationalpark. Bei näherem Hinsehen erwies sich aber die Nervosität als vernünftig. Zwei kleine schwarze Blutegel mit sehr schlaffer Haut waren gerade dabei, mit ihrem Kopf ein Loch in meiner Hose zu suchen, um an mein Blut zu gelangen. Die Egel gehören wie Zecken zu jenen Lebewesen, die im Wartestand Wochen, wenn nicht Jahre beharrlich den Moment abpassen, an dem ein Körper mit der richtigen Temperatur vorbeikommt, um dann Blut zu trinken.
Mir waren die Egel von Bildern her bekannt, die aber immer aus tropischen Regenwäldern stammten. Und tropisch sind die immergrünen Regenwälder Tasmaniens nicht. Im Winter kommt es zu gelegentlichen Frösten, und der dauernde leichte Nieselregen, der aus den Bäumen von oben und den Farnen von unten zu diffundieren scheint, kühlt den Körper aus. Was merkwürdigerweise sehr angenehm ist, weil es vor Ermüdung schützt und aufmerksam macht. Für die King Billy Pine zum Beispiel. Ein bis zu 30 Meter hohes Zypressengewächs, das bis zu 800 Jahre alt werden kann. Wenn man es lässt, wie Matt Taylor, ein Botaniker der Universität von Hobart und mein Begleiter in Tasmanien, hinzufügt.
Womit Matt auf ein Übel anspielt, das keine Spezialität Tasmaniens ist: die Macht der Holzindustrie, die von Nordamerika über Sibirien bis hierher den Nebel der Wälder in lodernde Rauchschwaden verwandelt, indem sie die alten Bäume brandrodet und durch schnell wachsende Pflanzen ersetzt. Die geben erst Ruhe, meint Matt, wenn es der King Billy Pine ergeht wie ihren Namensgebern. Der Name des Baumes stammt von einem Aborigine, den sie King Billy nannten. In Tasmanien gibt es im Unterschied zum australischen Festland keine Aboriginees mehr. Der Name ist also so etwas wie ein Sprachfossil, eine Erinnerung an eine nicht ruhmreiche Vergangenheit, deren Spuren nicht so einfach gelöscht werden können.
Abends in der Hütte meinte Matt, ich solle mich warm anziehen, denn das werde eine „three dog night“. Auch das ein Idiom von früher. Die Aborigenes schliefen, wenn es kalt wurde, mit ihren Hunden. In einer three dog night war es so kalt, dass einer nicht reichte.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen