: Uns ist so unbehaglich, aber warum denn bloß?
Den jungen Dramatikern des Landes ist die Geschichte nur noch ein Google-Phänomen, wie die „Deutschlandsaga“ in der Berliner Schaubühne zeigt
Im nächsten Jahr stehen einige nationale Jubiläen auf dem Plan: siebzig Jahre Beginn des Zweiten Weltkrieges, sechzig Jahre Gründung der deutschen Nachkriegsteilstaaten DDR und BRD und schließlich zwanzig Jahre Mauerfall. Lauter schwergewichtige Jahrestage mit dem Potenzial, der gesamten Kultur- und Unterhaltungsbranche monatelang Beschäftigung zu garantieren.
Die Berliner Schaubühne nun ist als Erstes auf diesen Zug aufgesprungen und hat, lange bevor das Jahr 2009 sich als Signaljahr allgemein festgesetzt hat, unter der Überschrift „Deutschlandsaga“ eine Uraufführungswerkstatt gestartet, wo in nach Jahrzehnten gebündelten Blöcken junge Dramatiker sich in Auftragswerken an „eine unbehagliche Identität“ annähern, sich am Deutschlandthema abarbeiten sollen. Findig wurde auch ein Förderungsantrag an die Bundeskulturstiftung gestellt, wo mit der schlagenden Verbindung aus Nachwuchsförderung und nationaler Dramatik offensichtlich ohne tiefere Prüfung der Substanz Blumentöpfe zu gewinnen sind.
Diese unbehagliche deutsche Identität schließlich ist ein Thema, das seit gut zweihundert Jahren zum Kerngeschäft deutscher Dramatiker gehört, ob sie nun Schiller, Schleef, Büchner oder Heiner Müller hießen. Das sozusagen den Felsen darstellt, den die Autoren immer aufs Neue bewältigend den Berg heraufgewälzt haben und der dann der nächsten Generation stets mit Wucht wieder vor die Füße fiel.
Schon bei der Verhandlung der Fünfzigerjahre am Lehniner Platz staunte man daher im November nicht schlecht über die völlige Unbedarftheit, mit der hier in drei flachbrüstigen Minidramen das Thema Deutschland vom Nachwuchs angegangen wurde. In der letzten Woche waren nun die Sechzigerjahre dran. In einer kurzen Szenenfolge des 1981 geborenen Jörg Albrecht begegnet man zunächst mit der Schriftstellerin Gisela Elsner und dem deutschamerikanischen Raumfahrtpionier Wernher von Braun zwei Figuren, die repräsentativ für die Epoche sein sollten: von Braun, der zunächst in Peenemünde an Hitlers Wunderwaffe laborierte, bevor er zum Star der amerikanischen Raumfahrt wurde; und der psychotischen Trinkerin Gisela Elsner, die uns sozusagen das Drama der begabten Frau jener Jahre demonstrieren soll. Im Hintergrund taucht gelegentlich eine Raumpatrouille auf, die einerseits aus der damaligen Kultserie „Orion“, andererseits aus dem Wettlauf der USA und der UdSSR um die technologische Vorherrschaft im All stammt. Wobei der Autor noch nicht mal zu wissen schien, dass es die Russen waren, die als Erste eine Rakete ins Universum geschossen haben.
Im Foyer zeigten Niels Bormann und Ina Tempel dann (leider im Fahrstuhl versteckt) eine Szenenfolge der seit ihrem neunten Lebensjahr in der Schweiz lebenden bosnischen Dramatikerin Daniela Janjic aus der sozialistischen Produktion, die ein wenig zu überdeutlich an Christa Wolfs berühmtes Buch „Der geteilte Himmel“ erinnerte. Schließlich präsentierte uns der 1981 in Kanada geborene John Birke das Drama von zweien, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren: dem einmillionenundersten Gastarbeiter nämlich, der eben kein Motorrad zur Begrüßung bekam; und jenem armen Fernsehmechaniker, der zu früh die farbigen Fernsehbilder startete – bevor Willy Brandt den entscheidenden Knopf gedrückt hatte – und der deshalb seinen Job verlor.
Das war ein witziger Kommentar zur offensichtlich immer noch virulenten Sehnsucht, in den Sechzigerjahren selber „dabei“ gewesen zu sein. Ironie der Geschichte bei Birke: Auch wer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen ist, traf es nicht unbedingt besser. Benno Ohnesorg zum Beispiel. Das war ganz hübsch, aber mehr auch nicht. Speziell, weil Birke nun nicht gerade der Richtige zu sein scheint, die Geschichte auf den Punkt zu bringen. Im Programmheft erklärt er den 1955 umgekommenen James Dean ebenso zum Phänomen der Sechzigerjahre wie den Mauerfall. Ja, Sie lesen hier richtig.
So wurde wieder mit großem PR-Getöse eine Maus geboren und Fördergeld in den Sand gesetzt. Wobei die Dramatiker noch nicht mal den Löwenanteil bekamen – pro Drämchen hat die Schaubühne (wie aus gut unterrichteten Kreisen berichtet wird) je 500 Euro gezahlt. Wahrscheinlich war schon die Herstellung des überflüssigen „Fanzines“ teurer, das zu jedem Jahrzehnt produziert worden ist. Trotzdem hat die Sache auch etwas Beruhigendes. Ein Land, dessen Dramatikernachwuchs die eigene Geschichte nur noch als Phänomen von Google und Wikipedia wahrnimmt (was die anämische Signalreizdramatik der „Deutschlandsaga“ nämlich befürchten lässt) und dessen Identität eher von Marken- und Medienerfahrungen wie Fernsehserien oder Musik geprägt worden ist, hat etwas zutiefst Antinationalistisches. Und vielleicht ist das ja die wahre Geschichte, die uns die Schaubühne, leider unfreiwillig, gerade erzählt. ESTHER SLEVOGT