Brüllen, zertrümmern und weg

Kleine, feine Schönheit, hasserfüllter Lärmausbruch, zeitgemäße Rrriot-Grrrl-Haltung: Jolly Goods schreddern, krächzen, schrammeln und verteilen großzügig Lippenstift im ganzen Gesicht. Heute spielen sie im Roten Salon

Als man sie im Sommer zum allerersten Mal sah und hörte, war schon alles so gut. Mittendrin in diesem Berlin-Festival, über dessen allzu bunt gekleidetes und allzu affirmativ an die unsäglichen Maßstäbe der sogenannten New-Rave-Kultur angedocktes Publikum an dieser Stelle schon genügend Hohn und Spott ausgegossen wurde, traten sie auf. Wie aus der Zeit gefallen. Wie am falschen Ort. Sie waren nicht gekommen, um den urbanen neongefärbten Mob zu bespaßen. Sie waren da, um ihn anzuschreien. „I hate to fuck you!“, brüllte die 19-jährige Tanja Pippi dem sexyhexy Vice-Aufgebot entgegen, während ihre 16-jährige Schwester Angy auf die Trommelfelle drosch und dabei, vollkommen desinteressiert an Interaktion, geradeaus ins Leere stierte.

Zwei kleine, schwarz gekleidete Schwestern, die eine an Mikrofon und Gitarre, die andere am Schlagzeug. Die schreddern, krächzen, schrammeln und sich dabei den knallroten Lippenstift quer übers Gesicht wischen, als wäre immer noch 1992. Als müsse man angemessene Vorband sein für Bikini Kill, L7 oder Hole. Im Sommer 2007 aber waren die Jolly Goods, einfach so, unerwartet zwischen der hippen Uffie und der vulgären Princess Superstar, eine Rettung.

Seitdem ist viel passiert. Tanja Pippi ist aus dem 8.000-Seelen-Dorf Rimbach im Odenwald nach Berlin gezogen, im November kam bei Louisville Records das Jolly-Goods-Debüt „her.barium“ heraus. Jetzt schreibt Label-Mitchef Patrick Wagner (Ex-Surrogat, Ex-Kitty-Yo) für jeden Auftritt einen Entschuldigungsbrief an Angys Eltern und Lehrer – Tanja Pippi hat die Schule schon seit längerem einfach sein lassen. Natürlich lässt sich die Coming-of-age-Geschichte „Vom Kaff zum Rrriot Grrrl“ hübsch erzählen, aber wenn Tanja Pippi sagt „Wir sind auch ohne Rimbach wütend“, dann glaubt man ihr. Spätestens, nachdem man das Album gehört an.

Es hat 13 Stücke und dauert 32 Minuten. Man kann sich also erstens ausrechnen, dass man es hier mit Liedern im Punkformat zu tun hat – tatsächlich kommt zum Beispiel „Worry & Bury“ mit 43 Sekunden aus –, und zweitens kann man sich vorstellen, dass ein Jolly-Goods-Gig stets von fast exakt halbstündiger knapper Kürze ist. Wie sagte es die Band Slime mal so schön: Brüllen, zertrümmern und weg. Wie sagten es die beiden Schwestern letzthin: „Es gefällt uns so.“ Und dann singt Tanja Pippi in dem Stück „Too Dumb To Love“ die Zeile „Sad that I can only hate“. Das Wörtchen „hate“ kommt in die Wiederholungsschleife und mutiert zu einem wuchtig durchdrehenden, herausgeschrienen Amoklauf.

Die Schwestern mit den niemals lächelnden Gesichtern beschreiben ihren Stil auf ihrer Website recht simpel mit „Two Grrrls Lo Fi Garage Beat Punk Trash Fuck!!!!“. Schon: Manchmal denkt man an blechernen Anfängersport, der versucht, die Heldinnen von vorgestern möglichst treffsicher zu emulieren. Aber dann kommen die Jolly Goods auch ganz schnell mit ihrem ganz eigenen Gewicht um die Ecke, mit einer Spannung, die sich aus Momenten kleiner, feiner Schönheit und hasserfüllten Lärmausbrüchen nährt. Dann wird es explosiv und dramatisch, fast erschreckend in seiner spröden Ungeheuerlichkeit, wuchtig wie ein Urzeittier.

Und wenn man mal ehrlich ist: Ist Beth Ditto von Gossip bei aller offensiven Körperpolitik uns wirklich rotzig genug? Soll Peaches’ durchgestylte Show immer noch der beste Lady-Rock-’n’-Roll sein? Und wo sind eigentlich Le Tigre hin? Die Jolly Goods kommen gerade richtig, um mal wieder mit allem nötigen Welt- und Menschenhass das Erbe von Kathleen Hanna und Courtney Love anzutreten und uns unangenehme Wahrheiten an den Kopf zu dreschen. Wie „You look like shit!“, zum Beispiel.

KIRSTEN RIESSELMANN

Jolly Goods live: heute, 21 Uhr, Roter Salon (Special Guest: Dillon)