: Wenn das Wasser kommt
Immer diese Dauerwellen: Das Bremer Hafenmuseum widmet sich in einer umfassenden Schau den vielfältigen Aspekten der so genannten Sintflut. Hochwasserschutz in Entwicklungsländern spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Frage, wer auf theologischer Ebene eigentlich Schuld an allem ist
VON HENNING BLEYL
In Sachen Sintflut ist Norddeutschland ein exponiertes Pflaster. 1981 brachen in Bremen die Deiche, 1962 ertranken 300 HamburgerInnen. Und dann erst die „Groten Mandränken“! 1362 sollen an die 100.000 KüstenanwohnerInnen während einer einzigen Sturmflut umgekommen sein – falls die damaligen Chronisten richtig geschätzt haben. Dieser regionale Bezug ist freilich nur einer unter vielen Referenzpunkten, mit denen sich das Bremer Hafenmuseum derzeit dem Überschwemmungs-Phänomen widmet. Mit „Vor der Sintflut“ spannt es den historisch-spekulativen Bogen weit über die Bibel hinaus bis in babylonische Gefilde.
Für das kleine, recht junge und privat betriebene Haus ist das ein ambitioniertes Unterfangen. Nichtsdestoweniger sei es wohl die erste umfassende Sintflut-Ausstellung überhaupt, sagen die MacherInnen. Angesichts der Klimadiskussion und der aktuellen Vornamens-Topten, in die sich „Noah“ gerade hineingerankt hat, können sie sich eines breiten Interesses jedenfalls sicher sein. Zumal der Aspekte-Reichtum der Schau, der die Abwesenheit einer zentralen These locker überspielt, wirklich beachtlich ist.
Architektur-StudentInnen der hiesigen Hochschule haben ein Modell des künftigen „Bremedig“ gebaut, der Archäozoologe Hans Christian Küchelmann arbeitet heraus, welche Tiertypen in den diversen Flut-Überlieferungen auszumachen sind. Seine Ergebnisse, präsentiert anhand einiger Fossilien, Stopftiere und eines barocken Bibel-Monsters: Es ging der priesterlichen Oberschicht als den jeweiligen Autorenteams gar nicht um eine Darstellung der „Bewahrung der Schöpfung“, um sich protestantisch auszudrücken, sondern um eine Bevorratung mit Opfertieren. Was für einen eher funktionalen Blick auf die Fauna spricht.
Über diese schnöde Erkenntnis kann man bei Flut-Musiken von Carissimi über Stravinsky bis „Bap“ nachdenken – oder sich über den Republikaner Richard Baker aufregen: Anlässlich der durch Hurricane „Katrina“ hervorgerufenen Flut gab der 2005 zu Protokoll: „Wir haben endlich mit dem sozialen Wohnungsbau in New Orleans aufgeräumt. Wir konnten es nicht tun, aber Gott tat es.“ Um Letzteren geht es auch bei den etymologischen Erläuterungen: Demnach verbreitete sich erst seit dem 13. Jahrhundert die Umdeutung der germanischen Vorsilbe „Sin“ („immerwährend“) in „Sündflut“. Eine deutsche Spezialität, die sich etwa die ItalienerInnen mit ihrer „diluvio universale“ oder die Briten („The Great Flood“) ersparten. Als Christen sitzen sie freilich trotzdem mit im Schuld-Boot.
„Mache dir einen Kasten aus Tannenholz“, hat Gott laut Luther zu Moses gesagt, im Gilgamesch-Epos vertrauen sich die Überlebenden einer Schilfkonstruktion an. Sintflut-Erzählungen sind aus Teilen der Erde bekannt, aber längst nicht überall hatte man das Bedürfnis, den Vorgang vor allem als verdiente Strafaktion zu verstehen – oft handelt es sich schlicht um einen Willkürakt der Götter. Oder das Desaster passiert ganz ohne Anlass. In den Hörstationen der Ausstellung kann man sich in Beispiele wohltuend Schuldkomplex-freier Überschwemmungs-Sagen vertiefen. Eine aus Nigeria geht so: Sonne und Mond, ein Paar, laden ihren Freund Flut zu sich nach Haus. Knietief eingetreten, fragt Flut dezent, ob sie wirklich noch weiter hineinkommen solle. Sonne und Mond bitten in ihrer überbordenden Gastfreundschaft doch näherzutreten und ziehen sich schließlich aufs Dach zurück. Und da sind sie auch heute noch.
Bleibt die Frage nach der wissenschaftlichen Legenden-Bildung. „In den Medien wird immer die Schwarzmeer-Flut gehypt“, sagt die Archäologin Daniela Nordholz, eine der sieben AusstellungsmacherInnen. In der Tat raschelte erst kürzlich ein Bericht über die jüngsten dort vorgenommenen Bohrungen durch den Blätterwald: Das Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie könne „neueste Indizien“ präsentieren, die auf einen gewaltigen Salzwassereinbruch vor etwa 100.000 Jahren ins seinerzeit eigentlich süße Schwarze Meer hindeuteten.
Man kann sich das ja auch eindrucksvoll vorstellen: Wie sich die Fluten des Mittelmeers, genährt von schmelzenden Gletschern, via Marmarameer in die Höhen des heutigen Bosporus schnitten, um sich dann in das damals 100 Meter tiefer gelegene Schwarze Meer zu ergießen. Durch den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten hat es solche Schauspiele offenbar sogar zyklisch gegeben, zuletzt vor etwa 8.000 Jahren. Nur: Der reale Hintergrund der biblischen Sintflut ist den Recherchen der AustellungsmacherInnen zufolge wahrscheinlich in Mesopotamien zu suchen: Mit Euphrat und Tigris gab es dort immer mal üppige Wassermassen, die etwa in der Stadt Ur meterdicke Sandablagerungen hinterließen. Mit den Hebräern sei diese traumatische Erfahrung als später verschriftlichte Überlieferung nach Palästina gelangt.
Nordholz hat die konkurrierenden Forschungsergebnisse in Graphiken gefasst. Wenn man sich in all die Kurven erst mal vertieft und sie als potenzielle Pegelstände und Temperaturstürze entworren hat, macht es durchaus Spaß, im jäh hochschnellenden Blau verschiedenen Ergusshypothesen zu folgen.
Mangels definitiver Erkenntnisse muss sich der heutige Sintflut-Rezipient ohnehin mit der Befriedigung seiner Schaulust begnügen. Dass dabei unter anderem der Bremische Deichverband und die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger als Sponsoren mitmachen, verweist wiederum auf die aktuelle Relevanz des Themas. Im April soll die Schau Richtung Riga und Danzig an die Ostseeküste wandern.
Eröffnung: heute, 19 Uhr im Bremer Hafenmuseum im Speicher XI; bis zum 13. April. Das umfangreiche Begleitprogramm ist unter www.die-sintflut.de abzurufen