: „Katastrophale Arbeitsbedingungen“
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat eine Ausstellung zum Hamburger Hafen während des Nationalsozialismus konzipiert. Von der Hierarchie zwischen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern sowie vom Widerstand unter Schauermännern und Seeleuten berichtet Kurator Herbert Diercks
HERBERT DIERCKS, 54, ist seit 2006 Museumspädagoge in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Zuvor leitete er das dortige Archiv.
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Herr Diercks, welche Werften und Hafenwirtschaftsbetriebe haben am stärksten von der NS-Kriegsmaschinerie profitiert?
Herbert Diercks: Das ist schwer zu spezifizieren. In die Kriegsproduktion waren alle großen Werften und Betriebe – von Blohm + Voss über die Stülckenwerft und die Deutsche Werft bis zu den MAN-Motorenwerken eingebunden. Auch die Erdölindustrie, die Fisch- und Nahrungsmittelindustrie in Altona sowie die Norddeutsche Affinerie und die Wilhelmsburger Zinnwerke wurden systematisch auf Kriegsproduktion umgestellt. Was den Profit betrifft: Ob die Kriegsmarine besser bezahlte als zivile Auftraggeber es getan hätten, kann ich nicht beurteilen.
Aber KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter waren kostengünstig.
Das waren sie. Die Betriebe waren aber trotzdem nicht glücklich darüber, dass ihre fachlich qualifizierten Arbeiter zum Militär eingezogen wurden und Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge an ihre Stelle traten. Aber das war ja das Absurde an der Kriegsmaschinerie der Nazis: Einerseits bekamen Werften und Rüstungsbetriebe massenhaft lukrative Aufträge für die Kriegsproduktion. Andererseits nahm man ihnen die Arbeiter. Ohne KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, die man ihnen stattdessen zuwies, hätten die Unternehmen diese Aufträge also gar nicht erfüllen können.
Wie viele Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge waren in der Hamburger Hafenwirtschaft tätig? Bedienten sich alle Hafenwirtschaftsbetriebe ihrer?
Ja, alle. Insgesamt waren mehrere tausend KZ-Häftlinge sowie mehrere zehntausend Zwangsarbeiter eingesetzt. Blohm + Voss und Deutsche Werft betrieben Außenlager des KZ Neuengamme; eins von ihnen lag am Dessauer Ufer, eins im Freihafen auf der Veddel.
Wovon hing ab, ob KZ-Häftlinge oder Zwangsarbeiter eingesetzt wurden?
Vom Bedarf an Arbeitskräften. Ursprünglich wurden ausschließlich Zwangsarbeiter eingesetzt, das war sozusagen der Standard. Als ab Sommer 1944 die Arbeitskräfte nochmals knapper wurden – auch weil viele Zwangsarbeiter seit den Bombardierungen des Hamburger Hafens ab 1943 flohen – wurden auch KZ-Häftlinge geholt.
Wurden die beiden Gruppen unterschiedlich behandelt?
Ja. Die Arbeitsbedingungen der KZ-Häftlinge – und die kamen ja schon aus Lagern, in denen sie misshandelt und schlecht verpflegt wurden – waren katastrophal. Sie hatten in den Lagern im Hamburger Hafen kaum Überlebenschancen. Die Außenlager von Neuengamme unterschieden sich in nichts von der Brutalität anderer Außenlager. Als extrem brutal schildern Überlebende zum Beispiel das Außenlager bei Blohm + Voss. Bei KZ-Häftlingen wurde auch keine Rücksicht auf Gesundheit oder den Erhalt von Arbeitskraft genommen. Sie mussten meist unqualifizierte Tätigkeiten verrichten, sodass sie – aus Sicht der Nazis – jederzeit ersetzbar waren. Die Zwangsarbeiter dagegen wurden für leichtere Arbeiten eingesetzt. Außerdem wurden sie je nach Herkunft verschieden behandelt. Am unteren Ende der Hierarchie standen Arbeiter aus der Ukraine und Polen. Die Westeuropäer wurden im Allgemeinen besser behandelt.
Welche Tätigkeiten mussten KZ-Häftlinge verrichten?
Es waren meist Hilfstätigkeiten. Ein Häftling, dessen Schicksal wir in unserer Ausstellung dokumentieren, war bei der Deutschen Werft eingesetzt. Er musste in die entlegensten Ecken von Schiffsneubauten und U-Booten kriechen und dort mit Rostschutzmittel streichen. Ohne jede Entlüftung – eine sehr gesundheitsgefährdende Tätigkeit. Später mussten sie auch – Männer wie Frauen – nach den Bombardierungen Trümmer wegräumen, um die Betriebe wieder produktionsfähig zu machen. Eine schwere körperliche Arbeit. Die Überlebensquote der KZ-Häftlinge und der Zwangsarbeiter in den Hafenwirtschaftsbetrieben unterschied sich daher ganz erheblich.
Wie war die Entschädigungsmoral der Werften nach dem Krieg?
Viele der damals aktiven Werften sind ja im Zuge der Werftenkrise in den Siebzigern und Achtzigern in Konkurs gegangen und existieren nicht mehr. Grundsätzlich hat sich Hamburg in der Debatte um die Entschädigung von Zwangsarbeitern aber sehr engagiert. Und soweit ich weiß, haben die noch existierenden Firmen – etwa der Thyssen-Konzern, dem Blohm + Voss angehört, und die Firma MAN – in den Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft eingezahlt. Und in der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum von Blohm + Voss widmen sich etliche Texte der Zeit zwischen 1933 und 1945 sowie der Karriere, die Rudolf Blohm während des „Dritten Reichs“ machte.
Wurden in Hamburg auch Werften enteignet?
Ja. Relativ unbekannt ist die Geschichte der Köhlbrandwerft in Altenwerder. 1920 von Paul Berendsohn als Abwrackwerft gegründet, florierte das Unternehmen in den dreißiger Jahren ausgezeichnet. Zudem war die Familie in Altenwerder, wo sie auch wohnte, komplett integriert. Berendsohn zählte dort zu den maßgeblichen Mäzenen. Trotzdem erfuhr er ab 1933 eine zunehmende Ausgrenzung und wurde von den Nazis 1938 zum Verkauf der Werft weit unter Wert genötigt. Berendsohn konnte mit seiner Familie noch 1939 nach Honduras, später in die USA fliehen. Als er Ende der vierziger Jahre nach Hamburg zurück kam, musste er allerdings jahrelang gegen die Stadt Hamburg prozessieren, der die Werft inzwischen gehörte. 1955 endlich hat er Recht bekommen und ist 1959 in Hamburg verstorben. Seine Kinder leben noch in den USA und haben das Unrecht nie verwunden.
Wie war im Hamburger Hafen der Widerstand gegen das Regime organisiert?
Die Wurzeln liegen im schon 1933 sich formierenden Widerstand in den Arbeiterwohngebieten. Außerdem konnten natürlich die weltweit verkehrenden Seeleute von Exilorganisationen erstellte Pamphlete in den Hafen schmuggeln. Sie machten zum Beispiel 1936 publik, dass die Nazis heimlich Kriegsmaterial zur Unterstützung des Franco-Putschs nach Spanien verschifften. Während des Kriegs arbeiteten die Widerstandgruppen weiter, waren aber sehr gefährdet, weil die Gestapo sie scharf beobachtete und Verdächtige ohne Gerichtsurteil verhaftete und ermordete.
Konzentrierte sich der Widerstand auf bestimmte Betriebe?
Wichtige Keimzellen waren natürlich die großen Betriebe wie Blohm + Voss. Dort gab es zu jeder Zeit Widerstandsgruppen, die zu Arbeitsverweigerung, zur Verteilung von Flugblättern und zur Sabotage aufriefen.
Gab es auch Widerstand unter den Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen?
Wir haben Hinweise auf Kontakte zwischen im Widerstand arbeitenden Deutschen und Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Gut dokumentiert ist zum Beispiel das Schicksal des Ukrainers Pawel Pawlenko. Er arbeitete als Schauermann im Hafen und half, Nahrungslieferungen für deutsche Soldaten zu unterlaufen.
Die Ausstellung „Der Hamburger Hafen im Nationalsozialismus“ wird heute im Hamburger Rathaus eröffnet und ist dort bis zum 17. 2. zu sehen