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Archiv-Artikel

Klinken putzen, Rosen schenken

Endspurt im niedersächsischen Landtagswahlkampf: Die taz nord hat im Wahlkreis 49 – in und rund um Lüneburg – den lokalen Spitzenkandidaten von CDU, SPD und Grünen zugeschaut

VON MARCO CARINI

„Ich bin Bernd Althusmann, Ihr Landtagsabgeordneter.“ Nach seiner Eröffnungsformel begrüßt der 41-Jährige mit zackigem Handschlag den älteren Mann, der ihm gerade die Haustür geöffnet hat. Eigentlich müsste sich Althusmann nicht mehr vorstellen: Hier in Westergellersen prangt sein Konterfei an jeder Straßenecke. Überlebensgroß. Auch der Rentner an der Haustür hat ihn erkannt. „Ich wollte Sie bitten, zur Wahl zu gehen“, fährt Althusmann fort. Wenig später wird er, mit einem ironischen Lächeln, sagen: „Ich hätte da auch eine Wahlempfehlung für Sie.“

Seit fast zwei Stunden ist der frühere Berufsoffizier nun schon auf Tour durch die 1.800-Seelen-Gemeinde. „In dieser Phase des Wahlkampfes bringt nur die direkte Ansprache etwas“, so begründet Althusmann, warum er von Tür zu Tür läuft wie ein Staubsaugervertreter. „Das wird dann den Nachbarn berichtet und spricht sich im ganzen Ort rum.“ Nach der Wahl will er genau auswerten, ob er in den Gemeinden, die er jetzt abklappert, überdurchschnittlich abgeschnitten hat.

Die Frau aus dem Geschäft für Reitbedarf gibt dem seit 1994 im Landtag sitzenden Berufspolitiker Kontra: Sie findet es gar nicht gut, dass ihre Tochter nur noch zwölf Jahre Zeit hat, um den Stoff für das Abitur in sich hineinzufressen und schon nach vier Schuljahren der weitere Bildungsweg festgelegt werden muss. Althusmann geht mit einem Lächeln über die Kritik hinweg. Gemeinsamkeiten sind gefunden, als es um die großen Klassen und den vielen Unterrichtsausfall geht. „Da müssen wir was tun“, sagt er, „und da werden wir was tun.“ Nun ist er wieder im Film: Wahlkampferprobte Sätze wie aus Textbausteinen formen sich ganz automatisch. Und das böse Wort „Einheitsschule“, das so schön nach sozialistischer Gleichmacherei klingt, darf natürlich auch nicht fehlen.

Althusmann ist seit sechs Uhr auf den Beinen und sein Terminkalender eng getaktet. Er muss den Wahlkreis gewinnen, will er erneut in den Landtag einziehen. Hat er noch Lust auf diesen Wahlkampf, der schon Wochen dauert? Althusmann lächelt. Dann versucht er es mit einem Sprüchlein: „Der Wahlkampf ist die schönste Jahreszeit.“ Nein, eine authentische Antwort ist von diesem Mann nicht zu holen. Nicht heute.

Bevor Althusmann sich verabschiedet, sagt er stets noch, dass die Wahl „noch nicht gelaufen“ sei und es „knapp werden könnte, wenn die Linken in den Landtag kommen“. Dann steigt er ins Auto und braust davon – weg aus Westergellersen, zum nächsten Wahlkampftermin. Morgen wird er – selbe Zeit, benachbarter Ort – wieder Klingelknöpfe drücken. Dann steht Südergellersen auf dem Plan.

Während Althusmann marschiert, verteilt Andrea Schröder-Ehlers Windmühlen mit SPD-Logo. Die 600 Rosen sind schon weg, verteilt in der Lüneburger Fußgängerzone von einem Tross ehrenamtlicher Sozialdemokraten. Die Blume in der Hand, kommt man ins Gespräch – wer eine nimmt, muss kurz stehen bleiben. Und wer weder Rosen noch Windmühlen mag, für den hat die SPD noch Bio-Äpfel dabei. Und Kugelschreiber. Familiär geht es zu am Infostand. Man kennt sich. Es wird gegrüßt und gescherzt, Kontroversen bleiben aus. Welche Themen die Menschen setzen, denen sie im Wahlkampf begegnet? Andrea Schröder-Ehlers überlegt kurz, bevor sie sagt: „Mindestlohn, Bildung, Kinderbetreuung und generell die Frage, ob unser Sozialsystem auseinander driftet.“ Dann ist auch bei ihr der Punkt erreicht, an dem sich die Textbausteine verselbstständigen und die Antwort zum Wahlkampfvortrag entgleitet.

Radiointerview, Info-Stand, Hausbesuche und eine abendliche Podiumsdiskussion stehen für den heutigen Tag im Kalender der 46-jährigen Fachbereichsleiterin. Über die Landesliste ist die Juristin abgesichert, kampflos aber will sie Althusmann das Lüneburger Direktmandat nicht überlassen. Den kurzen Polit-Smalltalk mit den Passanten beendet sie meist mit einer Floskel: „Wenn Sie uns auch noch unterstützen, dann holen wir auch den Wahlkreis.“ Der Wähler soll glauben: Es kommt wirklich auf seine Stimme an.

Hundert Meter von Andrea Schröder-Ehlers entfernt wahlkämpft Andreas Meihsies. Er hat keine Rosen dabei, dafür dutzende Beutel Meersalz. Darauf steht, über dem Grünen-Logo, der Satz geschrieben: „Wir sind das Salz der Politik.“ Meihsies hat auch keine Ambitionen, ein Direktmandat zu holen. Ihm geht es allein um die Zweitstimmen: Sein Listenplatz 14 ist bei derzeit exakt ebenso vielen grünen Abgeordneten im Landtag eine echte „Wackelnummer“.

Als zentrale Themen des Straßenwahlkampfes macht der Energiefachmann neben Bildung und Mindestlohn den Atomausstieg aus, aber auch die Nichtrauchergesetze des Landes. Im Dezember schlug ihm auf offener Straße ein bekennender Raucher ins Gesicht, weil er sich durch die Rauchverbote, die auch von den Grünen mitgetragen werden, in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt fühlte. Eine Attacke, die Meihsies noch immer nicht ganz verdaut hat.

An diesem Vormittag bleibt an dem Infostand kaum jemand stehen. „Wir haben fast jedes Jahr eine Wahl“, sagt Meihsies, „da wird es immer schwerer, die Wähler und auch sich selbst im Wahlkampf zu motivieren.“ Da ist dem 47-Jährigen die Erleichterung darüber, in der kommenden Woche nicht mehr ins Nasskalte hinaus zu müssen, deutlich anzumerken.