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Archiv-Artikel

Gasfackel fördert die Eisschmelze

Die erste europäische Gasverflüssigungsanlage funktioniert nicht. Das überschüssige Gas wird einfach abgefackelt. Eine Riesenflamme setzt Millionen Tonnen Kohlendioxid im Norden Norwegens frei. Auch die Rußwolke verstärkt die Eisschmelze

ÜBERFLÜSSIGES GAS

Trotz der umweltschädlichen Auswirkungen wird bei der Öl- und Erdgasgewinnung „überflüssiges“ Gas häufig einfach abgefackelt. Dies wird vor allem dort gemacht, wo es teurer kommt, das Gas aufzufangen und über Pipelines abzutransportieren. In den letzten zehn Jahren wurden weltweit auf den Förderfeldern so relativ konstant 150 bis 170 Milliarden Kubikmeter Gas abgefackelt. Das entspricht etwa fünf Prozent des globalen Erdgasverbrauchs. Mindestens 300 Millionen Tonnen CO2 werden dabei freigesetzt – mehr als ein Drittel des jährlichen CO2-Ausstoßes Deutschlands. Russland steht laut einer Weltbank-Statistik allein für ein Drittel des Abfackelns, gefolgt von Nigeria mit 23 Milliarden Kubikmetern. Ein internationales Verbot gibt es nicht, nur Empfehlungen. Nationale Verbote sind oft sehr durchlässig. Oftmals sind die Kosten wichtiger. In Norwegen beispielsweise ist Abfackeln grundsätzlich verboten, obwohl dort – auch ohne „Snøhvit“ – zuletzt rund zehn Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes auf diesem Weg freigesetzt werden. RWO

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Im Jahre 2030 will Norwegen „CO2-neutral“ sein. Das ist ein ehrgeiziger Klimaplan. Doch die Realität sieht derzeit in Norwegen noch anders aus: Im Norden des Landes ist weithin sichtbar eine Gasfackel zu sehen, die Millionen Tonnen des schädlichen Klimagases CO2 freisetzt – für nichts und wieder nichts.

„Sie ist zu einem wirklichen Alptraum geworden“, kommentiert die Osloer Wirtschaftszeitung Dagens Naeringsliv. Die Gasfackel mit dem unpassenden Namen „Snøhvit“ (Schneewittchen) brennt nördlich des Polarkreises auf einer kleinen Insel vor der Stadt Hammerfest und gehört zur ersten europäischen Gasverflüssigungsanlage. Nach sechsjähriger Bauzeit im vergangen Herbst fertiggestellt, hat sie seither gerade einmal zwei Tankerladungen Flüssiggas produziert.

Schneewittchen hat ein Problem: Das von der deutschen Firma „Linde“ gelieferte Herzstück der acht Milliarden Euro teuren Anlage funktioniert nicht richtig. Eigentlich sollte die Anlage das Erdgas auf minus 161,5 Grad Celsius abkühlen und dabei gleichzeitig das Volumen um den Faktor 600 komprimieren.

Ein großer Teil des Erdgases, das über eine 150 km lange Pipeline aus einem Gasfeld unter dem Meeresboden angeliefert wird, wird jedoch aufgrund der nicht funktionierenden Anlage und mangels anderer Verwendungsmöglichkeiten einfach abgefackelt. Selbst die Besatzung der Internationalen Weltraumstation ISS konnte die auf einem 137 m hohen Turm bis zu 130 m hohe Flamme schon beobachten.

Über eine Million Tonnen CO2 wurden so binnen zwei Monaten nutzlos in die Atmosphäre geschickt. Etwa so viel, wie eine halbe Million Autos durchschnittlich in einem Jahr freisetzen. In den nächsten sechs Monaten sollen mindestens weitere 1,5 Millionen Tonnen dazukommen.

Zunächst hatten die BewohnerInnen des nahe gelegenen Hammerfest gemerkt, dass da irgendetwas nicht stimmt. Statt einer frischen Brise zog dicke Luft durch die Stadt; Fensterscheiben verschmierten, und zum Trocknen aufgehängte Wäsche verrußte.

„Anfangsprobleme“, beruhigte das vom norwegischen Staatsunternehmen „Statoil“ angeführte „Snøhvit“-Konsortium, an dem auch die deutsche RWE Anteile hält, zunächst die Öffentlichkeit: Doch diese „Anfangsprobleme“ haben sich mittlerweile zu einem zentralen Konstruktionsfehler gemausert.

Im November schaltete man die Anlage vorübergehend ganz ab. Ende Januar soll sie wieder in Betrieb gehen. Den Rest des Jahres wird sie dann höchstens mit halber Kapazität laufen. Ein teilweises „Redesign“ sei notwendig, gab „Statoil“ bekannt. Ein sattes Verlustgeschäft für das „Snøhvit“-Konsortium, das die eingegangenen Lieferverträge nicht erfüllen kann und sich stattdessen auf dem Weltmarkt mit viel Geld Gas besorgen muss. „Auch wenn wir nur ein kleiner Teilhaber sind, ist das keine Traumsituation“, gestand Hugo Sandal, Direktor der RWE-Tochter „RWE-DEA Norge“ gegenüber der Zeitung Stavanger Aftenblad.

Vor allem aber ist „Snøhvit“ ein Umweltproblem. Die bislang abgefackelten 550 Millionen Kubikmeter Gas setzten nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Stickoxide und tausende Tonnen eines von den Umweltbehörden als krebserregend eingestuften Rußes frei. Der Ruß hat in dieser Region laut Kristin Rypdal vom Osloer Zentrum für Klimaforschung (Cicero) einen dramatischen Einfluss auf die Eisschmelze in der Arktis: „Nach dem Global-Warming-Potenzial, der GWP-Berechnungsmethode, die auch dem Kioto-Protokoll zugrunde liegt, entsprechen 2.200 Tonnen von diesem Ruß 3,5 Millionen Tonnen CO2.“

Von „Wahnwitz“ und einem „Projekt, das völlig außer Kontrolle ist“, spricht Lars Haltbrekken vom norwegischen Naturschutzverband „Norges Naturvernforbund“. Doch solange die Anlage nicht regulär produziert, ist Abfackeln des Überschussgases laut Statoil die einzige technische Möglichkeit. Da man frühestens „im Laufe des Jahres 2009“ mit einer Lösung der Probleme rechnet, könnten bis dahin zusätzlich weitere mehrere Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt werden.

Für Guro Hauge von der Umweltschutzorganisation „Bellona“ ein „Skandal“: Solange die Anlage nicht ordnungsgemäß funktioniert, sollte sie überhaupt keine Betriebserlaubnis erhalten. Das Überschuss-Gas einfach abzubrennen, sei keine Lösung, meint nun auch der norwegische Umweltminister Erik Solheim: „Wie soll ich da noch appellieren, weniger Auto zu fahren oder Strom zu sparen?“