piwik no script img

Archiv-Artikel

Den Frauen ein Budget

DIE STRATEGIE

Gender-Budgeting ist eine Komponente der Strategie des Gender-Mainstreamings – einer Politikstrategie, die 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossen wurde. Die Staaten der EU haben sich 1999 in den Amsterdamer Verträgen dazu verpflichtet, diese Strategie in ihren Ländern umzusetzen. Gender meint im Englischen das soziale Geschlecht, so wie es sich durch Erziehung und gesellschaftliche Einflüsse bildet. Gender-Mainstreaming bedeutet also: Die Politik sieht die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe an, die nicht nur in einem Frauenministerium bewerkstelligt wird, sondern in alle Politikressorts Eingang findet. Gender-Budgeting überträgt dieses Konzept auf die Haushalts- und Finanzpolitik einer Regierung.

VON KARIN FLOTHMANN

In Österreich hatte eine Analyse der Arbeitsmarktpolitik ergeben, dass dort Frauen seltener als Männer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen. Frauen fanden keine oder nur prekäre Teilzeitjobs. Männer hingegen konnten durchaus von der Arbeitsmarktpolitik profitieren. Das muss anders laufen, fanden daraufhin die Politiker. Heute gehen 50 Prozent der Mittel an Frauen. Begründet wurde dieser Schritt nicht nur mit internationalen Gleichstellungsverpflichtungen, sondern auch mit einer höheren Effizienz der Arbeitsmarktpolitik.

Denn Frauen werden heute in Österreich durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht mehr so schnell in prekäre Arbeitsverhältnisse abgedrängt. Sie finden aufgrund ihrer besseren Qualifikation feste Jobs in Vollzeit. Und das rechnet sich auch für den Staat. Zum einen beseitigt er auf diese Weise den Fachkräftemangel, zum anderen profitiert er durch zusätzliche Steuereinnahmen. „Das ist letztlich nachhaltige und effiziente Arbeitsmarktpolitik“, findet die Berliner Gender-Expertin Regina Frey. Und es ist ein gutes Beispiel für praktiziertes Gender-Budgeting.

Verwaltungen können Gleichstellung mithilfe ihrer Haushaltspolitik befördern. Und sie können darauf achten, dass bei der Verteilung der Ressource Geld Frauen und Männer gleichermaßen profitieren. Das ist die zentrale Idee der internationalen Strategie des Gender-Budgetings, die 1995 bei der Frauenkonferenz in Peking erdacht wurde. Um dieses Gender-Budgeting auf Bundesebene umzusetzen, wurde in Österreich im August 2007 eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes eingebracht. Künftig heißt es in diesem Gesetz: „Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung die Grundsätze des Gender Budgeting zu berücksichtigen.“

„Gerechtigkeit herstellen“

„Beim Gender-Budgeting geht es darum, Gerechtigkeit herzustellen“, sagt Gender-Expertin Frey. Es geht nicht um die klassische Gleichstellungspolitik, die mithilfe von Fördermaßnahmen Diskriminierung abmildern soll. Es geht um die Wirkung von politischen Entscheidungen, von Finanzentscheidungen und von Gesetzen. „Kenne ich die Wirkung und stelle ich Ungerechtigkeiten fest“, so Frey, „dann kann ich politisch gegensteuern. So wie in Österreich geschehen.“ Erste praktische Erfahrungen mit dieser Strategie in anderen Ländern oder in Berlin beweisen, dass es funktioniert. In Berlin etwa wurde Gender-Budgeting von der rot-roten Regierung noch während Gregor Gysis kurzer Ära als Wirtschafts- und Frauensenator implementiert. Seit 2002 führt die Berliner Verwaltung die Gender-Strategie in ihr Haushaltsverfahren ein. Untersucht wurden beispielsweise die Berliner Bibliotheken. Wer leiht sich hier eigentlich welche Bücher aus, lautete hier die erste Frage. Heraus kam: Berlins Bibliotheken werden in erster Linie von Mädchen und Frauen genutzt. Jungen kommen so gut wie nie, Jungen lesen also nicht. In Berlins Bibliotheken findet inzwischen ein Umdenken statt. Immerhin sind sie Serviceeinrichtungen für alle Berlinerinnen und Berliner. Also versucht man, Jungen zum Lesen zu motivieren. Und dazu wird auch im Haushalt umgesteuert. So schafften die Bibliothekare in Berlin-Lichtenberg neue Bücher und andere Medien an, mit denen sie die Jungs nun locken wollen.

Diese Art der geschlechtsspezifischen Haushaltssteuerung würde sogar beim Bundeshaushalt funktionieren. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie, die noch im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung erarbeitet und jetzt veröffentlicht wurde. Die Politologin Christine Färber, die diese Studie zusammen mit anderen erstellte, ist sich sicher, dass es sich auch für Deutschland lohnen würde: „Gesellschaftspolitisch ist es doch wichtig zu wissen, wohin die Milliarden und Abermilliarden des Bundeshaushalts fließen und was sie bewirken.“

Doch die jetzige Bundesregierung sieht zurzeit keine große Veranlassung, sich ernsthaft mit der Einführung der Gender-Haushaltsführung zu befassen. In ihren Anmerkungen zu der sogenannten Machbarkeitsstudie heißt es: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, das die Vorschläge zum Teil mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden sind.“ Auf die Frage, ob Gender-Budgeting dennoch eingeführt werden soll, heißt es: „Die Bundesregierung hält es nicht für sinnvoll, Gender-Budgeting in das bestehende, sehr komplexe Haushaltsverfahren einzuführen, das dem Grunde nach in seiner Struktur nicht nach Zielen ausgerichtet ist.“ Und man stellt in Aussicht: „Stattdessen soll für weitere Überlegungen die Prüfung einer grundsätzlichen Reform des Haushalts- und Rechnungswesens abgewartet werden.“ Eine solche grundsätzliche Reform, da widerspricht kein Kenner der Materie, wird noch geraume Zeit auf sich warten lassen.

Klare Vorgaben der EU

Den Grünen schmeckt diese zeitliche Perspektive gar nicht. „Gender-Budgeting bringt nicht nur mehr Geschlechtergerechtigkeit“, meint die Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk, „sondern auch mehr Effizienz bei der Ausgabe öffentlicher Mittel.“ Im Übrigen, so glaubt die grüne Frauenpolitikerin, „hat die Bundesregierung gar nicht die Wahl, ob sie Gender-Budgeting umsetzt oder nicht. Es gibt europäische Vorgaben, an die sie sich halten muss.“ Die Regierung sieht das anders. Außerdem stößt man sich an den Anglizismen: Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting, diese Begriffe sind Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihrer Regierung seit geraumer Zeit suspekt. Spätestens seit einige der deutschen Mainstreammedien das Gender-Mainstreaming der Regierung in langen Lamentos diskreditierten, scheint von der Leyen zu kuschen. Spiegel, FAZ und sogar die rechtsnationale Junge Freiheit haben sich das Gender-Bashing auf ihre Fahnen geschrieben. Sie machen die Politikstrategie mit lustigen kleinen Beispielen lächerlich – mit ihrer Hilfe wolle man doch nur den Mann abschaffen. Der Spiegel vermutet gar, es ginge bei all dem Gegendere um die Schaffung eines „neuen Menschen“. „Wenn das Geschlecht nur ein Lernprogramm“ sei, könne man es wohl „im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit umschreiben“. Da fürchten die Herren der Schöpfung natürlich Schlimmes. Etwa, dass künftig Jungen und Männer in unlukrative Jobs wie Krankenpfleger oder Erzieher gedrängt werden könnten. Wo doch Mädchen parallel dazu mithilfe der Girls’ Days zu Flugzeugmechanikerinnen oder Managerinnen mutierten. In von der Leyens Ministerium heißt es seither hinter vorgehaltener Hand, der Spiegel habe das Thema kaputt gemacht. Die interministerielle Arbeitsgruppe Gender-Mainstreaming, die den Prozess begleitete, existiert inzwischen nicht mehr. Das zuständige Referat im Ministerium wurde stark verkleinert. Und in Reden oder Papieren der Regierung, wie zuletzt etwa dem Cedaw-Staatenbericht, der die Entwicklung der Gleichstellungspolitik in Deutschland dokumentiert und alle vier Jahre der UNO vorgelegt wird, tauchen die Begriffe Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting gar nicht mehr auf. Stattdessen, so bestätigt auch Jochen Geppert, Mitarbeiter im Genderkompetenzzentrum an der Humboldt-Universität, heißt es inzwischen bei von der Leyen: „Gleichstellung als Querschnittsaufgabe“. Auch das trifft eigentlich den Kern der Sache, denn Gender-Mainstreaming und -Budgeting sind Politikstrategien, die Gleichstellung zur Querschnittsaufgabe machen. Doch im Ministerium ist bisher noch nicht klar, wie es mit dieser Querschnittsaufgabe weitergehen soll. „Sie entwickeln bisher noch immer eine neue Strategie“, sagt Geppert.

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat hier längst eine eigene Strategie entwickelt. Mädchen, so die Erfahrung, interessieren sich nur selten wirklich für Politik. Um dem abzuhelfen, investierte die Bundeszentrale in ein politisches Kinderprojekt im Internet. In Onlinespielen, -comics oder -animationen wird Kindern hier erklärt, wie Politik funktioniert. Und da findet sich dann auch die Handtasche der Bundeskanzlerin: Lippenstift, Parfum und Puderdose gehören natürlich zu ihrer Ausstattung. Doch in dem Täschchen der Kanzlerin findet sich auch noch ein Schweizer Taschenmesser, eine Luftpumpe und Flickzeug. Mädchen finden das toll: „Ich finde es richtig gut, dass es diese Seite gibt. Erst hier habe ich viele Sachen über die Regierung in Deutschland verstanden!!! Danke dafür … hat mir wirklich weitergeholfen!!“, schreibt etwa die zwölfjährige Anna im Chatroom.