berliner szenen Musik und Kuchen

In der Theaterkantine

Gegen Abend ging’s ins Theater. Wir sahen eine helle Leinwand, einen freistehenden Glockenturm, wir sahen eine drapierte Geschichte. Ein nackter Mann, eine blutüberströmte Frau; eine Unterwasserstadt, die nur aus einem Bett bestand. Die Schauspieler waren eifrig und die Texte schwer. Nach wirren zweieinhalb Stunden sprangen alle vor den Vorhang und ließen sich ausgiebig beklatschen.

Danach saßen wir in der Theaterkantine. In den Gesichtern zeichnete sich Erleichterung ab, das Ding war über die Bühne gebracht, alle suchten Verstreuung und verstrickten sich schnell in Gespräche. Die Regie und ihre Bewunderer, die Schauspieler und ihre Gäste, die Bühnenarbeiter und die Aushilfsstudenten. Eine rotblonde Bedienung mit japanischen Stäbchen im Dutt schenkte Sekt aus, Buletten wurden gereicht, wahlweise gab es Käsekuchen, die Zeiger der Uhr krochen in Richtung Mitternacht. Das Theaterstück war schnell vergessen. Alle redeten über das Modewort, das Modewort dieser Generation: Therapie. Ich biss mir auf die Nägel, Loretta zuckte mit den Achseln. Wir hatten nicht viel beizutragen. Im Hintergrund leierte ein altes Kassettendeck. Die Musik passte zum Kuchen, sie glich sich dem Gebrabbel an.

Die Stimmung kippte ins Ungefähre. Die hübsche Bedienung wechselte die Kassette aus, sie trug eine Zigarettenschachtel in der hinteren Hosentasche (komisch, dass das wirkte, jedenfalls bei mir). Loretta strich mir mit der Hand über die Wange. „Wir dürfen hier nicht als Spaßbremsen auffallen, wir müssen es machen wie die anderen!“, sagte sie. „Die Zweifeltöner auf aus, die Sichtfenster öffnen und reden um des Redens willen!“ Natürlich hatte sie Recht.

RENÉ HAMANN