: Seltsamer Bleiberechts-Segen
Innensenator Udo Nagel stellt Asyl- und Abschiebe-Bilanz vor. In beiden Bereichen sinken die Zahlen. Kein Wunder, kritisieren Flüchtlingsinitiativen: Die „Abschottungspolitik“ der EU zeige Wirkung
VON MAGDA SCHNEIDER
Die Zahl der Asylsuchenden in Hamburg ist im vergangenen Jahr auf unter 1.000 gesunken. Insgesamt haben nach Angaben von Innensenator Udo Nagel (parteilos) 853 Frauen und Männer in der Hansestadt Asyl gesucht. 2006 seien es noch 1.098 Menschen gewesen, sagte Nagel gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts des Einwohner-Zentralamts. Dieser Rückgang entspreche dem Bundestrend.
Die meisten Flüchtlinge, 119, kamen aus dem Irak, gefolgt von Afghanistan (82), Iran (73), Serbien und der Türkei (jeweils 51). 385 Flüchtlinge blieben formell in Hamburg, der Rest wurde anderen Bundesländern zugewiesen. „Nach wie vor werden die Asylsuchenden intensiv über den Reiseweg und zu den Gründen der Einreise in Deutschland befragt“, erklärte Nagel.
Auch die Zahl der Abschiebungen war mit 695 rückläufig. Unter den Ausgeflogenen waren Nagel zufolge zwei islamistische Fundamentalisten und 115 Straftäter. Damit habe Hamburg seit 2003 15 radikale Islamisten ausgewiesen. „Für gewaltbereite Fanatiker“, so Nagel, „ist in Deutschland kein Platz.“
Den deutlichen Rückgang der Ausweisungen gegenüber den Vorjahren – 2003 waren es 3.184, 2005 noch 1.679 Personen – erklärt Nagel damit, dass bei Ausweisungen immer öfter Abschiebehindernisse vorgetragen würden, deren Stichhaltigkeit man im Einzelfall habe prüfen müssen. Besonders schwierig sei die Abschiebung von Afghanen.
„Die Ausreisebereitschaft der Ausreisepflichtigen nimmt stetig ab“, sagte Nagel. Gründe dafür seien neben dem langen Inlandsaufenthalt auch Erkrankungen oder familiäre Härten, deren Bearbeitung personelle und zeitliche Ressourcen binden würden. Zudem seien im Zuwanderungsgesetz die Möglichkeiten erweitert worden, ein Bleiberecht einzuräumen. Von diesem „Spielraum“ hat die Hamburger Ausländerbehörde nach Angaben des Senators in 1.943 Fällen Gebrauch gemacht.
Insgesamt 4.033 Menschen mit Migrationshintergrund sind im vergangenen Jahr nach Hamburg eingebürgert worden, deutlich weniger als im Jahr zuvor, als es noch 4.620 waren. Die Zahl der Neuanträge sei sogar um 23,5 Prozent gesunken. Einer der Gründe seien die höheren Hürden für eine deutsche Staatsbürgerschaft. „Wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen möchte, muss in der Lage sein, am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben“, so Nagel. Dies könne nur, wer „auch die deutsche Sprache beherrscht“.
Während Experten die rückläufigen Asyl- und Abschiebezahlen nicht verwundern, zieht Anne Harms von der kirchlichen Flüchtlingsberatungsstelle „Fluchtpunkt“ die aktuellen Bleiberechtszahlen in Zweifel: Sie seien „total unglaubwürdig“, sagte Harms gestern zur taz. Da bundesweit nur 5.000 von insgesamt 60.000 Antragstellern in den Genuss der Bleiberechtsregelungen gekommen seien, wäre die von Nagel genannte Zahl ein „Wahnsinnsanteil“ für Hamburg. Noch im Herbst habe die Ausländerbehörde die deutlich niedrigere Zahl von 672 Bleiberechtsregelungen genannt. Mit 1.271 weiteren Fällen müsse es „zu Weihnachten einen wahren Bleiberecht-Segen gegeben haben“, sagte Harms. Die sinkende Zahl von Asylanträgen sei indes das Produkt einer „Abschottungs- und Abschreckungspolitik“. Seit der EU-Erweiterung sei es deutlich schwieriger geworden, bis nach Deutschland vorzudringen: „Die EU hat sich abgeschottet und lässt sogar Flüchtlinge ertrinken“, sagte Harms. Viele Flüchtlinge stellten in Hamburg keinen Asylantrag mehr, da sie Angst hätten, dann sofort in das EU-Einreiseland abgeschoben zu werden.