: Anteil nehmen und aufklären
Der Journalist Marc Thörner kennt bei seinen Reportagen keine Berührungsängste. Sein neues Buch hilft einem, den „Krieg gegen den Terror“ erheblich besser zu durchschauen
Marc Thörner hat ein so informatives wie sarkastisches Buch geschrieben. Beides bleibt vermutlich nicht aus, wenn man sich in den Ländern bewegt, aus denen er hier berichtet: Irak, Afghanistan, Pakistan, Ägypten, Marokko, Algerien und Tunesien.
Als freier Journalist arbeitet Thörner in diesen Ländern hauptsächlich für die ARD und veröffentlichte bislang zwei Bücher über die Schiiten im Irak sowie über ihren größten und ärmsten Stadtteil in Bagdad, Sadr City. Seine Essays aus den verschiedenen Gegenden sind geprägt von professioneller Neugier, aber auch von persönlicher Anteilnahme und dem Wunsch nach Aufklärung.
Nach den „Mohammedanischen Versuchungen“ des Islamwissenschaftlers und Journalisten Stefan Weidner und dem Buch des holländischen Auslandskorrespondenten Joris Luyendijk aus dem Nahen Osten über Bilder und Lügen in Zeiten des Krieges tritt hier ein weiterer junger Journalist in Erscheinung, der in Reportagen wie Analysen das Geflecht aus westlichen Interessen und einem radikalen, traditionellen Islam beschreibt, der sich seine intellektuellen Vorbilder aus Vertretern der Antimoderne des Westens gesucht hat.
„Der falsche Bart“, so nennt Thörner das Bild der islamistischen Bedrohung, die sich angeblich in einer geschlossenen muslimischen Gesellschaft entwickelt habe, wie es hierzulande gern behauptet werde. Dies sei vor allem deshalb unrichtig, weil der Westen genau diese Strömungen immer wieder gefördert habe. Die USA finanzierten bekanntermaßen die afghanischen Mudschaheddin zu Zeiten der sowjetischen Besatzung und unterstützen noch heute den ägyptischen Präsidenten Mubarak, der angeblich gegen den Fundamentalismus kämpft, aber jegliche aufklärerische Diskussion über den Islam verhindert; die französische Regierung agiere ähnlich in Marokko und Algerien.
„Der falsche Bart“, das sind auch jene angeblich „gemäßigten“ Staaten wie Ägypten, Marokko und Tunesien, die westliche Gelder bekommen, damit sie den Terror bekämpfen, und damit nur ihre eigene Bevölkerung noch mehr bespitzeln und noch mehr unterdrücken und damit den Islamismus eher fördern als verhindern.
Übrigens ist auch die deutsche Regierung Teilnehmer des Um-den-falschen-Bart-Streichen-Spiels. Hier wurde etwa der usbekische Innenminister Almatow bei einem Krankenhausaufenthalt im Jahre 2005 nicht festgenommen, obwohl ihm mehrere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. Sogar der UNO-Sonderberichterstatter für Folter und damalige Präsident des Internationalen Strafgerichtshofs hatte die Aufhebung von Almatows diplomatischer Immunität empfohlen.
Der angebliche Kampf gegen den Terror dient in Usbekistan nämlich vornehmlich der Inhaftierung, Folterung und auch Tötung von Regimegegnern. Usbekische Offiziere werden von der Bundeswehr geschult, die dafür dort einen Luftwaffenstützpunkt zur Unterstützung der Soldaten in Afghanistan unterhält. Damit ist dann auch wieder klar, worum es eigentlich geht, wie Thörner in seinem Vorwort bemerkt: um wirtschaftliche und geostrategische Interessen.
Der Autor hat keine Berührungsängste, wie sich das für einen ordentlichen Reporter gehört. Er war als embedded Journalist mit den Amerikanern unterwegs, er spricht mit Menschenrechtlern, Geheimdienstleuten, Koranschulleitern. Ja, einmal wollte er natürlich auch mit Bin Laden sprechen – das ist übrigens die lustigste Geschichte, und sie spielt in Pakistan. Nach dem Besuch bei einem Oberkommandierenden der Armee spricht ihn im Hotel in Peshawar ein Afghane an: „Ich habe Informationen für Sie, folgen Sie mir – Abdul nähert seinen Mund bis auf wenige Zentimeter meinem Ohr – Scheich Osama, Scheich Bin Laden, ich weiß, dass sie sich für ihn interessieren.“ Und weil Abdul seriös wirkt, folgt ihm der Journalist, um schließlich in einem kleinen Laden zu landen, an dessen Wänden sich Regale türmen, die wiederum alle mit den gleichen Päckchen gefüllt sind: T-Shirts mit dem Riesenbild von Ussama vorne drauf, „great Mujaheed of Islam“. „Wenn Sie davon 100 nehmen, mach ich Ihnen einen Sonderpreis“ – und weil Thörner keine Shirts will, bringt Abdul ihn eben zur großen Madrassa, der Kaderschmiede der Taliban.
„Der falsche Bart“ ist ein weiteres Puzzleteil zu jenem verwirrenden „Kampf gegen den Terror“-Bild, in dem es vor Blindpuzzlestückchen und falschen Bärten nur so wimmelt. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter zu sammeln und zu versuchen, die großen Lücken zu schließen.
RENÉE ZUCKER
Marc Thörner: „Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror“. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 160 Seiten, 13,90 Euro