: Pompös bis in die Ewigkeit
Der Friedhof im Recoleta lockt Touristen nicht nur, weil Eva Perón hier liegt. Es sind eher die unzähligen Grabmäler, die wie kleine Schlösser wirken
VON MORITZ FÖRSTER
Ein Friedhof ist ein Ort der Ruhe. Ein Ort der Andacht und der Erinnerung. Es ist kein Geheimnis, dass verschiedene Kulturen ganz unterschiedlich mit dem Tod umgehen. Während in Deutschland Trauer und Schwarz angesagt sind, trauern die Chinesen in Weiß, andere Kulturkreise feiern mit fröhlichem Gesang.
Auch bei der Form der Bestattung gibt es höchst unterschiedliche Varianten: Die einen mögen es ganz klassisch in einem Sarg unter der Erde, die anderen stehen eher auf Asche in der Wohnzimmer-Urne, und wieder andere lassen sich den Fischen zum Fraß vorwerfen.
Eine ganz neue und obendrein ziemlich unkultivierte Friedhofskultur ist im argentinischen Recoleta entstanden – und zwar unabhängig davon, dass auf dem Friedhof des Ortes viele bekannte Künstler, Schriftsteller und Professoren begraben liegen. Recoleta ist das Viertel in Buenos Aires, in dem die Reichen und die noch Reicheren wohnen. Es ist ein ganz normaler Samstagvormittag. Im Eingang des Friedhofs steht eine Gruppe Touristen, die mit amerikanischem Akzent darüber diskutieren, welchen Sarg sie als ersten besichtigen wollen. Drei von ihnen beugen sich über die Friedhofs-Karte, die ein Labyrinth von Wegen und Grabhäusern darstellt. Denn das ist noch das Normalste auf diesem Friedhof: Wie in Argentinien üblich, werden die Särge nicht unter der Erde, sondern in kleinen, überirdischen Häuschen aufbewahrt. Hier sind die Grabhäuser jedoch eher kleine Schlösser, ganz nach dem Motto: „Pompös bis in die Ewigkeit“. Jedem Millionär sein ganz privates Heldendenkmal.
Keine 30 Meter hinter dem Eingang folgt die nächste Überraschung: Dort steht eine Gruppe von 15 Personen, die gebannt der Reiseleiterin lauscht. „In diesem Grab liegt Juan Bautista Alberdi. Zu Lebzeiten war er Schriftsteller, Rechtsanwalt und Politiker. Weiter hinten finden Sie Carlos Pellegrini, Expräsident Argentiniens.“ Die Reiseleiterin erklärt, wie viele Millionen welches Grab gekostet hat und welcher Sarg aus welchem Holz gefertigt ist.
Als Mitteleuropäer hat man mitunter das Gefühl, dass einem die ganze Situation etwas sonderbar vorkommt. Aber damit ist man offenbar allein: Freudestrahlend kommt einem ein junges Mädchen entgegen. Schwarzgefärbte Haare, Heavy-Metal-T-Shirt mit aggressiven Motiven. Die Nachwuchssatanistin fühlt sich wohl. Hier in Recoleta ist ihr Hobby „Friedhof und Tod“ offenbar bei allen hoch angesehen.
Überall auf der Welt sind die Helden- und Prominentengrabmäler in den Metropolen Touristen-Magnete. Dass jedoch wie hier ein kompletter Friedhof dem Tourismus geopfert wird, ist weitgehend unbekannt. Was noch fehlt, sind Eintrittspreise und Tangomusik.
Aber auch ohne Tango geht es auf dem Recoleta-Friedhof heiter zu. Die Besucher bestätigen alle Klischees: ein Deutscher mit Strohhut und Sonnenbrille. Ein schwedisches Pärchen mit Kinderwagen, zwei Teenager mit Dreadlocks und Eisbechern. Was alle vereint, ist der Drang, Fotos zu schießen. Fast jeder der vielen Touristen steht da mit einer ultraflachen und noch ultraleichteren Digitalkamera und macht ein Foto nach dem anderen. Für ein Foto von dem Grabstein von Eva Perón stehen die Touristen in einer langen Schlange, die die ganze Friedhofsgasse hinunterführt. Pärchen lassen sich zu zweit vor dem Grab ablichten, fast ein jeder posiert stolz vor dem schwarzen Häuschen. Für eine spätere Erinnerung: „Ich war da, vor dem Ort, in dem die Gebeine der argentinischen Nationalheldin liegen.“
Dass auch die Frau des langjährigen Präsidenten und Diktators Juan Perón zu Lebzeiten nicht ganz so großartig war, wie in Filmen und Erzählungen dargestellt wird, stört die allgemeine Begeisterung nicht: ein Foto vor dem Grab, ein Foto neben dem Grab, ein Foto nur vom Grab. Ein Foto mit Sombrero, eins ohne.