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Archiv-Artikel

„Tolerierung könnte kommen“

Fünf Interviews zur Bürgerschaftswahl (II): Dora Heyenn, Spitzenkandidatin der Linken, über Politik in der Opposition, mehr Schulden und Steuern und alte Kommunisten. Ihr Wunschpartner: niemand

DORA HEYENN, 58, ist Lehrerin und war von 1971 bis 1999 in der SPD. 2005 Eintritt in die WASG. Bei der Bürgerschaftswahl kandidiert sie für Die Linke auf Platz eins der Landesliste.

INTERVIEW: MARCO CARINI UND SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Frau Heyenn, die Linke hat jede Koalitionsbeteiligung ausgeschlossen. Wie wollen Sie so auch nur eines Ihrer Anliegen durchsetzen?

Dora Heyenn: Die Gestaltungsmöglichkeiten einer Opposition sind nicht zu unterschätzen. Wir sehen im Bundestag, dass wir aus der Opposition heraus Themen besetzen und auch Entscheidungen vorbereiten können. Das Paradebeispiel sind die Mindestlöhne, die wir zusammen mit den Gewerkschaften thematisiert haben. Heute sprechen sich SPD und auch die GAL für Mindestlöhne aus.

Das können Sie nicht einfach auf ein Bundesland übertragen.

Schon im Hamburger Wahlkampf haben wir, ohne überhaupt im Parlament zu sein, die Programmatik der anderen Oppositionsparteien entscheidend beeinflussen können. Die GAL will jetzt 5.000 Ein-Euro-Jobs in feste Stellen umwandeln – vor einem halben Jahr wäre das noch undenkbar gewesen. Und die SPD will die Kita-Gebühren senken, kostenloses Mittagessen für Kinder anbieten und Studiengebühren abschaffen. Das sind Themen und Forderungen, die sie von uns übernommen haben.

Sie wollen Rot-Grün nur tolerieren, wenn Ihre zentralen Forderungen umgesetzt werden. So machen Sie es SPD und GAL leicht, Sie auszuschließen.

Ich schließe auch für Hamburg nicht aus, dass es zu einer Tolerierung kommt. Die Voraussetzung aber ist, dass die soziale Spaltung Hamburgs überwunden oder zumindest spürbar abgemildert wird. Das ist für uns nicht verhandelbar und dafür steht unser Sofortprogramm.

So treiben Sie die SPD in eine große Koalition.

Die SPD muss wissen, was sie tut. Wir wollen auf Probleme aufmerksam machen. Wenn wir aus der Opposition heraus erreichen, dass Studiengebühren abgeschafft werden, ist es egal, wer den Erfolg für sich reklamiert.

Sie planen Reformen im Bildungs- und Sozialbereich für einen dreistelligen Millionenbetrag. Als Finanzierung fallen Ihnen höhere Neuverschuldung und Steuererhöhungen ein, über die fast ausschließlich der Bund entscheidet. Nennen Sie das solide Haushaltspolitik?

Wir können über rund zehn Prozent des Haushaltsvolumens frei verfügen. Da wollen wir weg von den Investitionen für Hafencity und Elbphilharmonie, um das Geld in die Stadtteile zu stecken, die sozial abgerutscht sind. Wir wollen mit zusätzlichen Betriebsprüfern ungefähr 60 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr erzielen. Und natürlich teilen wir die Auffassung des DGB, dass man für die Überwindung der sozialen Spaltung Hamburgs den Schuldenabbau strecken und Steuern erhöhen kann. Fast alle Steuersenkungen der vergangenen Jahre kamen nur den großen Firmen und den Reichen zu Gute. Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit. Der Staat kann nicht ständig seine Einnahmen und Gestaltungsspielräume reduzieren. Die Schwachen brauchen Hilfe vom Staat.

Auch Privatisierungen würden Geld in die Kassen bringen.

Das sind Einmaleffekte, die den Einfluss des Staates weiter reduzieren. Wir sehen beim Landesbetrieb Krankenhäuser, was das für das Personal und die Patienten bedeutet. Deshalb wollen wir die Kliniken rekommunalisieren, indem wir die Verträge mit Asklepios rückabwickeln. Wenn die Stadt sich bei Beiersdorf und der Affinerie einkaufen kann, sollte das auch beim LBK gehen.

Was sind die drei wichtigsten Themen, die Sie nach der Wahl angehen wollen?

Wir werden auf die sofortige Abschaffung der Studiengebühren dringen und auf eine Ausbildungsplatzumlage, um die Zahl der Jugendlichen, die auf der Straße sind, schnellstmöglichst zu senken. Wir brauchen ein Vergabegesetz, das die öffentliche Hand verpflichtet, Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die einen Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen. Zudem werden wir uns für ein Sozialticket von 15 Euro einsetzen.

Ihre Fraktion besteht aus enttäuschten Grünen, SPDlern und Gewerkschaftern sowie Immer-Noch-Kommunisten – hält das für eine Legislaturperiode? In Bremen ist links gleich Chaos, in Niedersachsen wurde die Abgeordnete Wegner gestern wegen DDR-freundlicher Äußerungen ausgeschlossen.

Fehler wurden gemacht, das ist richtig. Ich kenne weder Frau Wegner noch die Fraktion dort genau. Klar ist: Es gibt keine Rechtfertigung für die Stasi und den Mauerbau. So etwas wird es in Hamburg nicht geben, da bin ich sicher.

Sollte der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde doch nicht gelingen: Machen Sie persönlich dann weiter?

Wenn wir wider Erwarten scheitern sollten, heißt es erst recht die Ärmel aufkrempeln für die Bundestagswahl. Ich fühle mich in der Linken zu Hause und werde selbstverständlich weiter mitmischen.

Morgen im Interview: Christa Goetsch (GAL)