Kein Behandlungszwang für Kranke

Das Berliner Psychiatriegesetz verstößt laut einem Gutachten gegen die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Grüne wollen Reformdiskussion initiieren

Seit Jahrzehnten kämpfen Berliner PsychiatriepatientInnen gegen Zwangseinweisungen in Kliniken und erzwungene medizinische Behandlung. Jetzt können sie sich begründete Hoffnung machen, dass ihre Forderungen umgesetzt und das Berliner Psychiatriegesetz reformiert wird. Es verstößt nämlich gegen eine von der Bundesregierung unterschriebene, allerdings noch nicht umgesetzte UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen. Das ist das Ergebnis eines von den Berliner Rechtsanwälten Wolfgang Kaleck, Sönke Hilbrans und Sebastian Scharmer erstellten Gutachtens, das am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus vorgestellt wurde. „Es geht hierbei um eine grundlegende Fragen der Menschenrechte“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Dirk Behrendt.

Das Juristentrio kommt zu dem Schluss, dass PsychiatriepatientInnen Behinderte im Sinne der UN-Konvention sind und daher unter deren Schutzrechte fallen. Medizinische Behandlungen und freiheitsentziehende Maßnahme gegen den Willen der Betroffenen sind nach ihrer Ansicht Eingriffe in die Geschäftsfähigkeit der Personen, die in der UN-Konvention einen zentralen Stellenwert einnimmt. Menschen dürften nicht gegen ihren Willen eingewiesen oder medikamentiert werden, nur weil sie psychisch krank sind.

Da die Psychiatriegesetzgebung in die Kompetenz der Länder fällt, wurde in dem von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e. V. in Auftrag gegebenen Gutachten nur das Berliner Psychiatriegesetz auf die Vereinbarkeit mit der UN-Konvention überprüft. „Wenn wir in Berlin Erfolg haben, müssten die anderen Länder nachziehen“, sagte René Talbot von den Psychiatrie-Erfahrenen. Für die Gesetzgebung der übrigen Bundesländer müssten allerdings eigene Studien in Auftrag gegeben werden.

Behrendt erklärte an, dass die Grünen Anfang Mai mit einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Abgeordnetenhaus in die Debatte über das Gutachten und die Folgen für das hiesige Psychiatriegesetz einsteigen werden. „Dazu ist als erster Schritt Aufklärung nötig. Dafür ist das Gutachten ein geeignetes Mittel“, sagte Behrendt der taz. Zu der Debatte sollen neben MedizinerInnen und JuristInnen auch PolitikerInnen eingeladen werden. Bis dahin werde seine Fraktion sondieren, ob gemeinsam mit der SPD und den Linken eine gesetzliche Initiative auf den Weg gebracht werden kann, mit der die Zwangselemente aus dem Berliner Psychiatriegesetz getilgt werden und dieses so an die UN-Konvention angepasst würde. PETER NOWAK