: Mehr als nur Arbeit
Reizende Radler und wilde Sex-Szenen: Nach Ende des Dauerstreits mit der Stadt präsentiert das Gerhard-Marcks-Haus in der Ausstellung „Nichts als Arbeit“ die Vorzüge seiner Museums-Strategie
Dass und wie sinnvoll die Entscheidung des Gerhard-Marcks-Hauses war, die eigene Sammlung um den Nachlass des Bildhauers Waldemar Grzimek zu erweitern, lässt sich messen: Bei der Bewertung durch den Kunstmarkt hat er in den vergangenen zwei Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht. Guter Indikator dafür ist das Ranking der Internet-Datenbank artfacts.net, wo er von Platz 28.202 im Februar 2005 auf Platz 12.739 vorgestoßen ist. Im gleichen Zeitraum ist das Volumen der Datenbank von 36.000 auf 112.114 Einträge gewachsen. Gelistet werden in ihr KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Für die Platzierungen werden, basierend auf Georg Francks Theorie einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, Daten von Ausstellungs- und Kunstmessen-Präsenzen sowie Auktionsergebnissen ausgewertet. Diese Steigerung ist fürs Museum weniger wegen des damit einhergehenden Anstiegs der Preise für die – ohnehin unveräußerlichen – Werke wichtig, sondern weil sie eine deutliche Zunahme der Relevanz und Attraktivität des Gerhard-Marcks-Hauses bedeutet. bes
von BENNO SCHIRRMEISTER
Es ist eine programmatische Ausstellung. Das zeigt schon das Ausrufezeichen: „Nichts als Arbeit!“ hat das Marcks-Haus seine Schau mit Genre-Plastiken genannt – vom Namenspatron, vom 2005 für die Sammlung gewonnenen Waldemar Grzimek. Und von Neuzugang Gerhart Schreiter.
Der gilt, 1908 in Thüringen geboren, wie Marcks und Grzimek als preußischer Bildhauer. Und ist doch auch Lokalgröße: In Bremen lehrte er ab 1956 an der Kunstschule. In Schwachhausen ist er 1976 gestorben.
Brillant, witzig und originell ist er in der Genre-Plastik, das heißt der Bildhauerei, die Alltägliches gestaltet: Radler als Motiv der Plastik – nicht zufällig hat ein Wahlbremer es entdeckt und in entzückende Briefträger-Bronzen gegossen. Oder in die „Feierabend-Gruppe“: Eine Front sieben entschlossener Fabrikarbeiter, die sich, gleich, auf ihre Drahtesel schwingen und nach Hause düsen werden: Die Schau hätte durchaus auch „Nach der Arbeit“ heißen können.
Schreiters Nachlass hat das Marcks-Haus erst kürzlich erhalten. Er war ziemlich ungeordnet: Möglich, dass sich der stoßseufzende Titel auch auf die Mühe des Katalogisierens bezieht. Und aufs Ringen um die Zukunftspläne des Direktors: Jürgen Fitschen will sein Haus als „das Bildhauermuseum des Nordens“ etablieren. Deshalb sein freudiges Ja zu den Sammlungs-Erweiterungen, die sich bei Schreiter sachlich fast aufdrängte und bei Grzimek messbaren Erfolg zeitigt (siehe Kasten). Den Dauerstreit zwischen Stadt und Marcks-Stiftung hatte der Ehrgeiz aber verschärft: Im Herbst hatte Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz das Haus ermahnt, „die eigenen Möglichkeiten realistisch“ einzuschätzen. Dienstag verkündete sie, „eine tragfähige Grundlage“ sei gefunden: Das Museum verzichtet auf Nachforderungen in Millionenhöhe. Die Stadt erhöht dafür die jährliche Förderung. Ein Ergebnis von, so Emigholz, „harten Verhandlungen“. Und „hart meint hart“, sagt Fitschen.
Sichtlich gelöst führte er gestern durch die Ausstellung. Die bringt die Vorzüge seiner Strategie auf den Punkt: Weil sich die kaum gezügelte Dynamik der Schreiter-Figurinen und Grzimeks entspannte Menschen wunderbar ergänzen – was die Marcks’sche Statik erst wieder interessant macht. Und: Weil das Schreiter-Thema Genre-Plastik erstmals Anlass bietet, eine wilde Mini-Bronze von Marcks zu präsentieren – ein etwa sieben Zentimeter kleines Paar, das krampfhaft kopuliert. Mit über 70 Jahren hat er sie geschaffen. Auch Sex, scheint sie zu sagen, ist nichts als Arbeit.
Eröffnung 2. März. Bis 1. Juni