Übermalen erwünscht

Das „Krickel-Krakel-Buch“ hat nicht nur einen ungewöhnlichen Namen, sondern auch ein ungewöhnliches Konzept. Statt klassischer Ausmalbilder haben Design-Studenten Weitermalbilder entworfen. Dies soll die Kinder ästhetisch bilden

VON ANNA-LENA WOLFF

Bücher zu bekritzeln ist Kindern in der Regel verboten. Anders ist das im ersten „Krickel-Krakel-Buch“, das Kinder ausdrücklich zum Weitermalen von gedruckten Bildern auffordert. Im dem Malbuch dürfen Kinder Geschichten aus ihrer Phantasie erzählen. Statt der üblichen Ausmalbilder regen hier halbfertige Zeichnungen von Figuren die Kinder zum Malen an. Schon der Titel „Krickel-Krakel“ gibt zu verstehen, dass wilde Kreativität hier eher gefragt ist als akkurate Stiftführung.

Entstanden ist das Buch in Zusammenarbeit der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) mit dem Friedrich Oettinger Verlag. Verlagsfrau Sarah Haag hält sehr viel vom „kindlichen Krickel-Krakel ohne Farben und Formen“, denn daraus könne später „große Kunst entstehen“. Sie suchte bereits seit einiger Zeit nach einem geeigneten Partner für ein Malbuchprojekt und kam auf einer Jahresausstellung des Departments für Designer der HAW mit Bernd Mölk-Tassel, Professor für Illustration, ins Gespräch. Dieser hatte kurz zuvor das Forschungsprojekt gestartet, das sich gut mit der Gestaltung frühkindlicher Bildung verknüpfen ließ. „Zwei Dinge trafen sich zum richtigen Zeitpunkt“, sagt er.

Im folgenden halben Jahr erarbeitete er mit einer Projektgruppe aus vierzehn Studenten Themen und Kategorien für das Weitermalbuch und ging dabei vor allem nach didaktischen Gesichtspunkten vor. Wie viel Freiraum braucht ein Kind um kreativ zu werden? Welche Art der Linienführung wirkt besonders anregend auf die Phantasie? Gibt es Jungen- und Mädchenthemen?

Die entstandenen Zeichnungen sind trotzdem nicht nach Themengebieten geordnet. „Wir wollten bewusst eine spannende Reihenfolge erhalten“, sagt Mölk-Tassel. Für die Gestaltung des Malbuchs wählte er StudentInnen aus, die sich vor allem im linearen Zeichnen hervorgetan hatten. Bei ihren Entwürfen griffen diese auf eigene Kindheitserinnerungen zurück und überlegten, was ihnen einst Spaß machte.

„Wir wollen unsere Freude am Schaffen weitergeben“, sagt Studentin Ann Cathrin Raab, die für die Covergestaltung zuständig war. Anders als für Raab, die bereits einige Bücher illustriert hat, war die Mitarbeit an dem Buch für viele der Studenten die erste Veröffentlichung.

Die Schlussauswahl der Bilder geschah durch den Verlag. „Die Studierenden haben hochengagiert an dem Projekt gearbeitet und weit mehr Entwürfe gemacht, als wir für das Buch verwerten konnten“, sagt Haag. Leider könne auch ein so schönes Buch nicht ins Unermessliche wachsen. Sie will auch in Zukunft weiter mit dem Department Design kooperieren.

Bei der Präsentation des Buches war auch die Kultursenatorin Karin von Welck anwesend, der frühkindliche Bildung ein wichtiges Anliegen ist. Nachdem sie in den letzten Jahren vor allem Projekte zur Lese- und Schreibförderung initiiert habe, wolle sie nun die ästhetischen Fertigkeiten der Kinder in den Blick nehmen und auch hier ganz bewusst schon im Vorschulbereich ansetzen. Das Weitermalen von Bilderbüchern bezeichnet sie als „intensives ästhetisches Training“.

Doch den Initiatoren geht es nicht darum, die nächste Künstlergeneration zu entdecken. „Kinder sind Kinder. Künstler sind Künstler“, sagt Mölk-Tassel. Lediglich die Phantasie solle angeregt werden, ein Ausgleich geboten werden zum stumpfen Herumsitzen vor dem Nachmittagsprogramm.

Er denkt zur Zeit über weitere Forschungen nach: „Wenn wir visuell anregen können, dann können wir auch visuell prägen“, sagt er. Eine mehrdeutige Zeichnung etwa könne das abstrakte Denken anregen. Die ersten Kinder, die bei der Präsentation im Nebenraum probemalten, verwirrt sie allerdings eher: „Was ist das denn?“, fragt ein kleines Mädchen und deutet auf ein Wuschelmähnenmonster im Buch.

Insgesamt seien die Kinder aber „schnell auf die Bücher angesprungen“, sagt Studentin Maria Leinweber, die die Kinder betreut. Sie scheint von den Ergebnissen fast noch beeindruckter zu sein als die kleinen Zeichner selbst. „Ich muss mal schnell gucken, was aus meinen Schnecken geworden ist“, sagt sie.

Zum Schluss gibt es für die Kinder ein Weitermalbuch gratis, voll mit Ideen und Anregungen zum Weiterdenken und -malen. „Es gibt viele mögliche Welten, die der Mensch aufgrund seiner faktischen Beschränktheit verpasst“, sagt von Welck. Da möchte sich doch auch so mancher Erwachsener aus dem regnerischen Hamburg fortzeichnen.