Ein Dirigent hat fertig

Bevor der Generalmusikdirektor Renato Palumbo die Deutsche Oper verlassen durfte, musste er noch eine Oper abliefern: Guiseppe Verdis „Aida“. Bei der Premiere ließ der Mann das Engagement des ganzen Hauses verachtungsvoll ins Leere laufen

VON NIKLAUS HUBLÜTZEL

Renato Palumbo hat keine Lust mehr. Nicht mehr auf Berlin, was man verstehen kann. Zwei seiner neuen Einstudierungen („I Villi“ von Puccini und „Ernani“ von Verdi) waren Achtungserfolge, aber keine Opern, weil sie nur konzertant aufgeführt worden sind. Alles andere wurde zur Katastrophe: „Manon Lescaut“, „Germania“ – und „Der Freischütz“. Seine Chaos-Version des Jägerchors ist inzwischen so legendär wie Edmund Stoibers Rede über den Transrapid zum Münchner Flughafen. Lustig war das schon, aber natürlich nicht für ihn. Er bot umgehend seinen Rücktritt an. Leider ließ die Intendantin ihn nicht ziehen. Vertragsgemäß hat er nun noch Verdis „Aida“ geprobt. Danach ist Schluss für Palumbo an der Deutschen Oper, und genauso klingt sie nun auch, diese große Oper des allergrößten Meisters Giuseppe Verdi: lustlos, ohne Inspiration und mit Blick zur Uhr heruntergespielt. Feierabend, Liebespaar tot – die Oper auch.

Seltsamerweise hat ihm am Sonntagabend das Premierenpublikum sogar applaudiert dafür, nicht gerade stürmisch, aber doch freundlich. Vielleicht freute es sich ja auch nur darüber, dass die Quälerei ein Ende hat. Beklagen kann sich Palumbo wirklich nicht. Die Besetzung der Rollen ist ausgezeichnet, das Orchester und der Chor eigentlich auch, und vor der Aufführung war anlässlich einer kleinen Kundgebung der Gewerkschaft Ver.di zu erfahren, dass das technische Personal seit zwei Jahren ohne Tarifvertrag endlose, schlecht bezahlte Überstunden schiebt, damit Verdi auf die Bühne kommt. Was will man mehr?

Die Italienerin Annalisa Raspagliosi hat die richtige, hochdramatische Stimme, mit der sie das Schicksal der äthiopischen Königstocher Aida glaubhaft machen kann, die den Feldherrn der ägyptischen Feinde ihres Volkes liebt, an deren Hof sie als Sklavin dienen muss. Nicht so sehr Wohlklang ist nötig, um den unlösbaren, tödlichen Konflikt hören zu lassen, Genauigkeit und Intensität des Ausdrucks sind wichtiger. Immer wieder versucht die Sängerin auszubrechen aus den Klischees dieser Rolle, und uns eine Aida zu zeigen, die wir noch nicht kennen. Aber Palumbo hört gar nicht zu, so wenig wie bei der Russin Irina Mishura, die mit großer, erfahrender Stimme der Gegenspielerin Amneris das Gewicht einer nicht weniger verletzlichen, am Unglück der Liebe und den Konventionen ihrer Herrscherklasse zugleich zerbrechenden Frau gibt. Carlo Ventre schließlich mag mit seiner schmalen, aber klaren und beweglichen Tenorstimme nicht die Idealbesetzung für den tumben Gotteskrieger Radames sein. Ein anderer Dirigent hätte ihn vielleicht dennoch zum ebenbürtigen Partner der beiden großen Frauen dieser Oper werden lassen: als überforderter, von Gefühlen und Gesellschaftsansprüchen verwirrter Unheld.

So wird immer wieder spürbar, was dieses Ensemble hätte leisten können, aber Palumbo hat nun mal fertig hier. Man kann scheitern, unverzeihlich aber ist die überhebliche Verachtung, mit der dieser Mann das ehrliche Engagement des ganzen Hauses ins Leere laufen lässt.

Der amerikanische Regisseur Christopher Alden und sein Team haben sich viel einfallen lassen, das verquere ägyptische Dekor dieses Universaldramas um Glaube, Macht und Liebe in die Gegenwart zu übersetzen. Der zu Verdis Zeiten exotisch fantasierte Gottesstaat am Nil hat sie an das Milieu der evangelikalen Christen der heutigen USA erinnert. Die Bühne ist ein mit Klinker vermauerter Andachtsraum, der ebenso gut das Foyer einer Bank sein könnte. Alle müssen aus einer Bibel in der Hand lesen, auf deren Titelblatt eine Friedenstaube zu erkennen ist. Zu Verdis berüchtigt martialisch-schmetterndem Triumphmarsch hüpfen Mädchen in Cheerleader-Röckchen an der Rampe, und die von den Feinden erbeuteten Jungs müssen an einem langen Tisch mit runden Eierkuchen Platz nehmen. „Pie“ steht auf ihren frisch gewaschenen T-Shirts, der Priester drückt ihnen den Kopf in die Kuchen hinein: „American Pie“ macht satt und fromm, alles klar?

Ein bisschen zu viel vielleicht. Dass die Bushs wirklich so ekelhaft verlogen und mörderisch selbstzufrieden sind, wie Alden sie zeigt, glauben wir gerne. Nur geht Verdi weit darüber hinaus. Ihn bewegt das Schicksal von Menschen in einer solchen Welt. Die Liebe macht sie so einsam, dass sie am Ende nur den Tod suchen. Liegt das an der schlimmen Religion? Und an der Macht? Wohl kaum. Verdis Musik hat ihr Zeitkostüm überlebt, weil sie niemanden anklagt, sie ist auf unendlich kunstvolle Weise sparsam und einfach, selbst ein Palumbo kann sie nicht zerstören. Und Alden hat ihr auch nur eine Kulisse gegeben, mehr nicht.

Was soll’s. Die Amerikaner wählen bald einen anderen Präsidenten und die Deutsche Oper schon vorher einen neuen Generalmusikdirektor.

Nächste Aufführungen am 6., 16. und 20. März