: Zuhause bei der Dichterin
„Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin“ erzählt die Geschichte einer Liebe
Wenn eine wahre Liebe gezeigt wird, ist man als ZuschauerIn immer ein wenig verlegen, denn im Grunde hat man ja zwischen den beiden Betroffenen (oder besser Getroffenen) nichts zu suchen. So kann es einem auch in diesem Dokumentarfilm gehen, der von der letzten Liebe der 95jährigen Dichterin Hilde Domin zu der 26 Jahre alten Filmemacherin Anna Ditges erzählt. Die junge Frau hatte zufällig in einem Buchladen einen Gedichtband der Poetin entdeckt, war fasziniert und besuchte daraufhin Hilde Domin mit einem Strauß Rosen und ihrer Kamera bewaffnet in ihrer Heidelberger Wohnung. Dieser war die Kamera von Anfang an lästig, aber die Filmemacherin sympathisch.
Das spürt man deutlich in der Anfangssequenz von „Ich will dich“, die diesen sehr förmlichen ersten Besuch dokumentiert. Bei der Führung durch die Wohnung zeigt die alte Dame gerne ihre Bücher und die Fotos ihrer Familie, aber eine Nahaufnahme untersagt sie streng: „Nicht so nah, das finde ich unhöflich!“ Dieses Verweigern entwickelt sich zum running gag des Films, den Anna Ditges in den letzten 2 Jahren des Lebens der Dichterin gedreht hat. Sie besuchte sie oft, immer alleine, sodass sie selber die Kamera halten musste. In einer Szene bat sie sogar einen Passanten darum, die Kamera zu halten, damit man die beiden Frauen (inklusive Panoramablick auf Heidelberg) zusammen im Bild sehen kann.
Und immer wieder verbat sich Hilde Domin den zu indiskreten Blick der Kamera, und immer wieder ließ Anna Ditges diese dann doch laufen, sagte dem scheuen Objekt ihrer filmischen Begierde, wie schön sie doch sei, worauf die dann etwa mit einem forschen „Das kann nicht sein!“ antwortete. Dies entwickelt sich zu einem Ritual, bei dem dann aber ganz doch ganz erstaunliche Bilder von Domin gelingen, wie etwa jenes, das Digtes am Steuer eines fahrenden Autos mit der Kamera im Schoß gelingt. Oft wirkt sie selber in solchen Situationen unangenehm aufdringlich aber dennoch lässt sie solche Szenen in ihrem Film zu. So zeigt sich Digtes auch nicht unbedingt im besten Licht, wenn sie Fragen stellte wie: „Was braucht man für ein Gedicht?“ Antwort: „einen Stift!“ oder „War er deine große Liebe?“ Antwort: „Jedenfalls hatte ich keine andere!“ .
En passant erzählt Hilde Domin auch von ihrem bewegten Leben: von der behüteten Kindheit in einer jüdischen Familie in Köln, von der Emigration mit ihrem Lebensgefährten Erwin Palm nach Italien und dann in die Dominikanische Republik, von ihren ersten Gedichten in den 50er Jahren und schließlich von der Rückkehr nach Deutschland, dem Ruhm und dem Alter. Es gibt eine hochkomische Szene in einem Atelier, bei der Domins Kopf von einem Bildhauer vor einem in Ehrfurcht erstarrten Publikum in Ton modelliert wird. Aber in die Tiefe geht der Film immer dann, wenn die beiden Frauen alleine sind, und ihr Verhältnis zueinander sich immer mehr herausschält. Natürlich ist Ditges die Tochter, die Domin nie hatte, aber diese Erkenntnis ist so banal, dass beide kein Wort darüber verlieren. Statt dessen gibt es einige wirklich bewegende Momente wie das letzte Sylvester von Domin, das die Beiden zusammen ganz still in ihrer Wohnung verbringen. Und immer wieder diese herrliche Sprache von Domin – sei es in den wenigen vorgelesenen Gedichten, sei es in ihren Bemerkungen. Beim Betrachten eines alten Fernsehfilms über sie bringt sie etwa ihre Skepsis diesem Medium gegenüber auf den Punkt: „Das sind ja nur Schatten, Puppen“. Aber auch solche Schatten können poetisch sein, wie dieser Film eindrücklich beweist.
Wilfried Hippen