Streik erklären

betr.: „Streiktagebuch“

Von Tag zu Tag ärgere ich mich mehr über meine Gewerkschaft – und über das Streiktagebuch in der taz. Frau Bulla, gegen die ich gar nichts habe, steht leider symbolisch für die Realitätsferne von Ver.di. Frau Bulla, habe ich gelernt, hat ein Auto, mit dem sie auch die Kids chauffiert, schläft etwas mehr als sonst und bekommt vermutlich Streikgeld. Dass sie hoffnungslos, müde und angeschlagen ist, mag Gründe haben, wird aber nicht wirklich erklärt. Viele Berliner müssen zur Arbeit und haben kein Auto. Auch mein Taxi-Budget ist langsam erschöpft.

Ver.di erwägt, den Streik zu verlängern. Einen Streik, der die Arbeitgeber offenbar nicht sonderlich stört. Einen Streik, den Ver.di nie den Berliner BürgerInnen zu erklären versucht hat. Ich fasse es einfach nicht: Inzwischen hat es die bestreikte BVG geschafft, Schilder an die U-Bahnhöfe zu hängen. Ich habe aber bisher kein Plakat meiner Gewerkschaft gesehen, keinen Handzettel von einer aktiv Streikenden bekommen, in dem Ver.di für die Forderungen wirbt, unter denen im Moment eigentlich nur die autolosen BerlinerInnen leiden. Die Streikenden, so lese ich, denken Mitte der zweiten Streikwoche langsam darüber nach, ob man nicht mal die Bürger informieren sollte. Soll das ein Scherz sein? Wenn Ver.di für bessere Löhne streikte, würden sie es uns sicher gern erklären? Die Solidarität der Bevölkerung suchen? Aber, so frage ich mich, vielleicht ist das alles von der Autoindustrie bezahlt? Ick glob, ick koof mir ’nen FauWeh Blu Moschen, wa? Und wenn ich aus der Gewerkschaft austrete, reicht die Ersparnis vielleicht fürs Autoradio. SILKE KARCHER, Berlin