Aufstand gegen Kraftwerkspark

In Brunsbüttel wird gegen die geplanten Kohlekraftwerke und ein Müllheizkraftwerk demonstriert. Bürgerinitiative versucht, süddeutsche Stadtwerke von Beteiligung abzuhalten. Diese wollen ihr Geschäftsmodell mit großen Anlagen stabilisieren

VON GERNOT KNÖDLER

Brunsbüttel hat schon viele Demonstrationen gesehen. Doch statt gegen das Atomkraftwerk, dessen Tage gezählt sein dürften, hat eine Bürgerinitiative zusammen mit Umweltverbänden gegen die geplanten Steinkohlekraftwerke und die Verbrennung australischen Giftmülls mobilisiert. Am Samstag um 12 Uhr versammeln sich die Demonstrationsteilnehmer auf dem Brunsbütteler Marktplatz; 800 Teilnehmer werden erwartet. Im Vorfeld hat die „Wählerinitiative für eine reelle Politik“ (WIR) mehrere süddeutsche Stadtwerke angeschrieben, um sie davon abzuhalten, sich an einem der Kraftwerksprojekte zu beteiligen.

Wenn das AKW Brunsbüttel wie geplant 2009 abgeschaltet wird, könnte Brunsbüttel erst so richtig zur Stromfabrik des Nordens werden: Die Firma Südweststrom will hier ein Steinkohlekraftwerk mit zwei Blöcken zu 900 Megawatt bauen. Der entsprechende Bebauungsplan liegt aus. Die Chemiefirma Bayer plant auf ihrem Firmengelände aus Müll Strom und Prozesswärme zu machen. Das belgische Unternehmen Electrabel ringt noch mit sich, ob sie ein 800-Megawatt-Steinkohlekraftwerk lieber in Stade oder in Brunsbüttel beantragen möchte. Und in der Nachbargemeinde Büttel gibt es bereits das Planrecht für ein gleich großes Steinkohlekraftwerk der Getec Energie AG aus Hannover. „Kraftwerksmäßig gibt es in ganz Deutschland keinen größeren Skandal als hier“, sagt Hubert Cartano-Purbinski von der Bürgerinitiative „Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe“.

Kristina Heuer-Segler von WIR ärgert, dass mit der Entscheidung für Kohlekraftwerke auf lange Sicht klimaschädlich Energie erzeugt würde. „Es gibt sicher Lösungen, die nicht 40 Jahre verplanen“, sagt sie. Eine Technik zur Abscheidung und Lagerung des Kohlendioxids sei frühestens in 15 Jahren zu erwarten. Gas-Kraftwerke wären effizienter und flexibler. Sie könnten schneller reagieren, wenn die auf der Nordsee geplanten Offshore-Windparks einmal keinen Strom lieferten.

Mit solchen Argumenten hat WIR auch versucht, einigen Stadtwerken ins Gewissen zu reden, die sich zur Stromhandelsgesellschaft Südweststrom zusammengeschlossen haben. „Einige unserer Stadtwerke haben die Schreiben der WIR erhalten“, bestätigt Kerstin Philipp von Südweststrom. „Grundsätzlich ändert das nichts daran, dass wir das Projekt für richtig halten.“ In Brunsbüttel seien die Bedingungen für ein Steinkohlekraftwerk besonders günstig: Über das Meer und die Elbe kann die Kohle billig herbeigeschafft werden. Der Fluss spendet reichlich Kühlwasser. Im Vergleich mit der Nutzung eines Kühlturms lasse sich der Wirkungsgrad des Kraftwerks damit um 1,5 Prozentpunkte verbessern.

Eines der Mitgliedsunternehmen von Südweststrom, die sich auch an dem Kraftwerk beteiligen, sind die Stadtwerke der grün regierten Universitätsstadt Tübingen. Einer ihrer Geschäftsführer, Ortwin Wiebecke, sagt: „Wenn wir aus der Atomenergie aussteigen wollen, werden wir auf Jahrzehnte hinaus mit der Kohle leben müssen.“

Wiebecke illustriert das mit den Bemühungen seines eigenen Betriebs: 30 Prozent des Tübinger Strombedarfs decken die Stadtwerke mit selbst erzeugtem Strom aus Blockheizkraftwerken und erneuerbaren Quellen. Bezogen auf das gesamte Versorgungsgebiet sind es 20 Prozent. Den gesamten Strombedarf der Universitätsstadt aus solchen Quellen zu decken, werde aber auf Jahrzehnte hinaus unmöglich sein. Es bleibe nichts anderes übrig, als den Rest einzukaufen oder konventionell selbst zu erzeugen. Warum er dieses einträgliche Geschäft allein den Großen überlassen soll, mag Wiebecke nicht einsehen.