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Archiv-Artikel

Alberich im Heizungskeller

Claus Guth übersetzt Wagners „Rheingold“ in unsere Zeit, lässt Unternehmer und Taschenspieler auftreten, bietet aber psychologisch eher wenig. Musikalisch dagegen ist der Auftakt zur Neuauflage des vierteiligen Nibelungen-Zyklus an der Hamburger Staatsoper aber durchweg gelungen

VON DAGMAR PENZLIN

Die Götter schlürfen Champagner auf der Dachterrasse ihrer neuen Villa. Die Riesen kommen als Goldketten behangene Kiez-Ganoven daher. Und die Zwerge sind die Unterschichtler, die Drecksarbeiten zu erledigen haben. Regisseur Claus Guth hat Richard Wagners Musikdrama „Das Rheingold“ an der Staatsoper Hamburg als gegenwartsnahes Gesellschaftspanorama inszeniert. Der Auftakt zum vierteiligen Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ wirkte streckenweise wie ein soziologisches Thesenpapier. Dank guter musikalischer und darstellerischer Leistungen wurde es bei der Premiere am Sonntag aber nicht langweilig.

Nicht weniger als das „Wesen der Welt“ wollte Richard Wagner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit seinem „Ring“-Zyklus ergründen. Im „Rheingold“ wirft er die Grundfrage auf, die sich durch alle Teile zieht: Macht oder Liebe? Der Zwerg Alberich entscheidet sich für die Macht, nachdem die Rheintöchter ihn als Liebhaber abgewiesen haben. Er raubt das Rheingold, um daraus den Ring zu schmieden, der ihm die Herrschaft über die Welt bescheren soll. Dafür muss er allerdings die Liebe verfluchen.

In Claus Guths Inszenierung spielt diese Szene an einem düsterem Ort, der an einen Kanalisationsschacht denken lässt oder an einen Keller nach der Flut. In einem riesigen alten Bett hausen die Rheintöchter. Gut gelaunt, in rosafarbenen Nachthemden und mit Schleifchen im Haar beginnen sie ihr kindlich-gemeines Spiel mit Alberich, nachdem er im Schutzanzug, Gift versprühend, auf die Bühne getappt ist. Als das Rheingold zu leuchten beginnt, taucht es alles in warmes Licht. Nach Alberichs Goldraub und seiner Verfluchung der Liebe wird es kalt und dunkel.

Diese erste Szene hat in Claus Guths Inszenierung und der Ausstattung von Christian Schmidt die stärkste poetische Kraft, weil sie Assoziationen weckt, die über konkrete Gegenwartsbezüge hinausweisen. Die anderen drei Szenen wirken insgesamt eindimensionaler. Zumal es nicht neu ist, Göttervater Wotan als selbstgefälligen Unternehmer im grauen Dreiteiler zu zeigen. Er residiert mit seinem betulichen Familienclan auf einem Dachboden – vor Augen seinen zukünftigen Wohnsitz als Pappmaché-Modell. Die Riesen haben die neue Villa für Wotan gebaut. Jetzt fordern die muskelbepackten Zuhältertypen ihren Lohn: Wotans Schwägerin Freia, die Göttin der Jugend. Um nicht die ewige Jugend einzubüßen, hofft der Clan-Chef auf Hilfe von Loge, dem Gott des Feuers.

In der Hamburger Neuproduktion tritt Loge als aalglatter Varieté-Künstler mit Glitzerjackett und Zylinder auf, als Kenner von allerlei Taschenspielertricks. Er schlägt vor, Alberich zu besuchen, unten in seinem Nibelheim, in Guths Inszenierung ein schmuddeliger Heizungskeller, und ihm den Ring zu rauben. Das fluchbeladene Ringen um die Weltherrschaft beginnt.

Claus Guth ist ein vielbeschäftigter Regisseur, der sein Handwerk versteht. Auch seine „Rheingold“-Inszenierung besticht durch eine lebendige Personenregie. Doch die Erwartungen an seine Hamburger „Ring“-Deutung sind sehr hoch, nachdem Guth im Februar 2006 an der Staatsoper der Hansestadt mit einer großartigen, psychologisch-vielschichtigen „Simon Boccanegra“-Inszenierung für Aufsehen gesorgt hatte. Mit seinem „Rheingold“ kann Guth hier nicht anknüpfen: Ihn scheint ohnehin am Auftaktstück weniger die Tiefenpsychologie interessiert zu haben als vielmehr das Übersetzen der mythologischen „Ring“-Gesellschaft in unsere Gegenwart. Die Analyse dieser gesellschaftlichen Zustände hat der 44-Jährige für die folgenden drei Teile von Wagners Tetralogie angekündigt.

Während szenisch also noch auf eine aufregendere „Ring“-Deutung zu hoffen ist, punktete Hamburgs Generalmusikdirektorin Simone Young am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters um so mehr. Die knifflige, pausenlose „Rheingold“-Partitur, mit ihren starken Kontrasten und ihren Klangzaubereien verwandelte sie am Premierenabend in sinnlich-packendes Hörtheater. Youngs Orchester spielte konzentriert und farbenreich: vom Filigranen bis zum Wuchtigen alles beherrschend.

Überzeugend auch das Gesangsensemble, das vor allem mit hauseigenen Kräften der Staatsoper besetzt ist. Besonders in Erinnerung bleibt Wolfgang Kochs Porträt des machtbesessenen Zwergs Alberich. „Ring“-Teil 2, „Die Walküre“, hat an der Staatsoper Hamburg im Oktober dieses Jahres Premiere. Es bleibt spannend.

nächste Aufführungen: 19., 24., 27. 3., 19.30 Uhr, Staatsoper Hamburg