piwik no script img

Archiv-Artikel

Grün ist die Personalnot

Die GAL hat kaum genug profilierte PolitikerInnen für einen schwarz-grünen Senat. Zudem müssten Fraktions- und Parteiführung auch neu besetzt werden. Schuld ist nicht zuletzt das neue Wahlrecht

Auf die Frage, wo die neue Parteispitze noch herkommen soll, gibt es zurzeit nur eine Antwort: Schulterzucken

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Die GAL hat ein Problem, über das sie am liebsten nicht sprechen will. Sie braucht an die zwei Dutzend profilierte und erfahrene PolitikerInnen, wenn sie in einem schwarz-grünen Senat mitregieren will: ein Dutzend für die Fraktion in der Bürgerschaft, dazu drei SenatorInnen und einige StaatsrätInnen. Und nicht zuletzt muss wohl auch die Parteiführung neu gewählt werden. So viele aber hat sie nicht zur Verfügung, und das nicht zuletzt wegen des neuen Wahlrechts.

„Das hatten wir uns anders ausgerechnet“, gibt ein Abgeordneter zu, der keinen Wert auf namentliche Erwähnung legt. Denn am heißen Eisen Personalien möchte sich niemand die Finger verbrennen. Offiziell heißt es nur, dass zurzeit bei den Koalitionsverhandlungen mit der CDU „die Inhalte“ im Mittelpunkt stünden. „Über Personen reden wir noch lange nicht“, wortkargt Parteivize Jens Kerstan auf Anfrage der taz.

Sollte es zu einem schwarz-grünen Senat kommen, wird die GAL drei der wahrscheinlich zehn Ressorts übernehmen. Unstrittig ist Spitzenkandidatin Christa Goetsch als Zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin, hinzu käme mit großer Sicherheit Parteichefin Anja Hajduk. Die Bundestagsabgeordnete kann nicht damit rechnen, dass die GAL im Herbst nächsten Jahres wieder etwa 15 Prozent der Stimmen und somit zwei Tickets für Berlin erhält. Also muss sie wohl Bundestags-Fraktionsvize Krista Sager die Spitzenkandidatur für die Hauptstadt überlassen und ihr Glück wieder in der Hansestadt suchen.

Das Ressort allerdings ist unklar. Die Finanzbehörde bekommt die Haushaltsexpertin auf keinen Fall, die gibt CDU-Parteichef und Finanzsenator Michael Freytag nicht her. Vorstellbar aber wäre Hajduk als Chefin einer neu zugeschnittenen Behörde für Arbeit und Soziales. Dafür müsste Bürgermeister Ole von Beust allerdings die affärenbelastete und altgediente Birgit Schnieber-Jastram opfern.

Dritter im grünen Bunde dürfte in diesem Fall – ein Mann wird gebraucht – der ehemalige Umweltsenator Alexander Porschke sein, der eine Behörde für Bau, Umwelt und Verbraucherschutz übernähme. Porschke kam im August nach über drei Jahren aus Südamerika zurück und mischt hinter den Kulissen wieder kräftig mit. Amtsinhaber Axel Gedaschko (CDU) würde die Wirtschaftsbehörde übernehmen von Gunnar Uldall, der aus Altersgründen nicht mehr zur Verfügung steht.

Mehrere Staatsratsposten stünden gleichfalls zur Besetzung an. Parteivize und Wirtschaftsexperte Jens Kerstan könnte in die Wirtschaftsbehörde gehen. Dort dürften die Tage von Staatsrat Gunther Bonz, der den Grünen als Henker von Altenwerder und Neuenfelde gilt, gezählt sein. Fraktionsvize und Umweltexperte Christian Maaß wäre für die Umweltbehörde erste Wahl, Innenexpertin Antje Möller könnte in die Innenbehörde entsandt werden, um als grüne Aufpasserin wahlweise den parteilosen Senator Udo Nagel oder dessen CDU-Nachfolger Christoph Ahlhaus an allzu hartem Kurs zu hindern.

In diesem Fall müsste wohl der Jüngste im Quartett der Ambitionierten, der 34-jährige Rechtsanwalt Till Steffen, seine Senatskarriere noch etwas herauszögern. Der gewiefte Vollblutpolitiker, tendenzielle Alleswisser und glänzende Rhetoriker würde den Fraktionsvorsitz übernehmen müssen.

Denn für die in Amt und Würden beförderten Goetsch, Maaß, Möller und Kerstan, die allesamt Direktmandate errungen haben, rückt wenig profiliertes Personal aus den Wahlkreisen nach. Die Ottenser Studentin Linda Heitmann, Vorsitzende der Grünen Jugend, ist ein Nachwuchstalent. Ein Fan von Schwarz-Grün ist sie zudem ebenso wenig wie die Bezirkspolitikerinnen Susanne Egbers (Eimsbüttel) und Liesing Lühr (Bergedorf). Der Fraktionsvize im Bezirk Altona, Winfried Sdun, hingegen schwärmt von der CDU. Er hat sich aber im Sommer als Strippenzieher bei der gescheiterten Inthronisierung des Hardcore-Realos Jo Müller als Bezirksamtsleiter keine neuen Freunde in der GAL gemacht.

Nicht zum Zuge aber kämen so die drei großen L, die dem neuen Wahlrecht zum Opfer fielen. Verkehrspolitiker Jörg Lühmann, die bisherige Vizepräsidentin der Bürgerschaft Verena Lappe sowie Stadtentwicklungsexperte Claudius Lieven scheiterten auf den zuvor als sicher eingeschätzten Listenplätzen sechs bis acht. Denn nicht wie erwartet fünf oder sechs, sondern gleich elf der zwölf grünen Abgeordneten kamen mit Direktmandaten in die Bürgerschaft. Einzig der Migrationspolitikerin Nebahat Güclü gelang über die Liste der Einzug ins Rathaus.

Der rettende Trick dürfte darin bestehen, die drei profilierten Ex-Abgeordneten gleich zu Staatsräten zu machen: Lappe für Gleichstellung, Lühmann für Verkehr und Lieven für Stadtentwicklung. Würde zudem Güclü das von den Grünen gewünschte neue Amt einer Migrationsbeauftragten übernehmen, würde für sie Katharina Fegebank von Listenplatz 9 in die Bürgerschaft nachrücken. Die 30-jährige wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Lüneburg gilt grüner Prominenz als große Hoffnung.

Die zwölfköpfige Fraktion bestünde dann aus diesen fünf NachrückerInnen, den drei DebütantInnen Eva Gümbel, Horst Becker und Thomas Waldowsky sowie den vier erfahrenen Abgeordneten Christiane Blömeke, Martina Gregersen, Farid Müller und Till Steffen. Bei zwei Drittel Neulingen gäbe es da genug Integrationsarbeit für die neue Fraktionsführung zu leisten.

Und wenn das alles dennoch hingebogen ist, steht das nächste Problem zur Lösung an. Senatorin Hajduk und Staatsrat Kerstan könnten formal zwar Vorsitzende und Stellvertreter der GAL bleiben, weil die Trennung von Amt und Mandat vor sechs Jahren aufgehoben wurde. Eine solche Machtfülle aber würde von weiten Teilen der Basis mit Sicherheit argwöhnisch beäugt werden, zudem dürften beide sich auf ihre Regierungsämter konzentrieren wollen. Mithin bräuchten die Grünen eine neue Parteispitze.

Auf die Frage, wo die jetzt auch noch herkommen soll, gibt es zurzeit nur eine Antwort: Schulterzucken.