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Archiv-Artikel

DER RENTENSTREIT WIRFT EIN UNGUTES LICHT AUF DIE REGIERUNGSPARTEIEN Ein undemokratischer Akt

Wer wissen will, wie opportunistisch Politik sein kann, der muss sich nur das Gezerre um die Renten anschauen. So auch jetzt. Um 1,1 Prozent sollen die Ruhegelder in diesem Jahr steigen, doppelt so viel wie eigentlich vorgesehen. Bekommen wir eine Inflationsrate von 2,5 Prozent, so bedeutet das immer noch, dass die Kaufkraft der Ruheständler sinkt. Von einer obszönen Rentenerhöhung, die den Jüngeren das Geld aus der Tasche zieht, um den reichen Alten das Nichtstun zu versüßen, kann bei 1,1 Prozent also nicht die Rede sein. Aber das ist auch nicht das Problem. Das Beunruhigende an der Rentenerhöhung ist die politische Mechanik, die dadurch sichtbar wird. Und die lässt nichts Gutes ahnen für Verteilungsstreitigkeiten in der Zukunft.

Um die außerplanmäßige Rentenerhöhung für dieses und das kommende Jahr zu ermöglichen, muss die Bundesregierung auf Initiative von Sozialminister Olaf Scholz (SPD) in der Rentenformel bestimmte Faktoren aussetzen, die ansonsten das Ruhegeld gemindert hätten. In Folge können die Beitragssätze nicht entsprechend den früheren Plänen sinken. Die heutigen außerplanmäßigen Zuwächse sollen nun allerdings noch vor 2013 wieder mit den planmäßigen Rentenanpassungen verrechnet werden. Im Klartext: Die Rentenerhöhungen erfreuen nur in einem kleinen Zeitfenster, nämlich den nächsten Jahren, die Ruheständler. Im kommenden Jahr ist Wahlkampf, und da passt es gut, die Rentner zu besänftigen.

Doch diese Verzeitlichung hat etwas zutiefst Undemokratisches. Die Regierungsparteien hoffen, dass die BürgerInnen sie auch wählen, wenn sie Belastungen in die Zukunft verschieben und damit noch nicht spürbar werden lassen. Denn: Stammtischparolen gegen „Rentenbetrug“ an den Älteren verkaufen sich besser als Leitartikel gegen „Beitragslügen“ gegenüber den Jüngeren. Doch mit dieser politischen Mechanik kann man alle demokratisch ausgehandelte Langzeitplanung in der Sozialpolitik vergessen. Falls diese politische Mechanik des Wahlkampfes stärker ist als jede Langfriststrategie, dann stellt sich die Politik selbst ein Armutszeugnis aus. Genau diesen Preis war SPD-Sozialminister Scholz bereit zu zahlen. Das ist beklemmend. BARBARA DRIBBUSCH