: Alles ist echt, und alles ist falsch
In Schanghai gibt es ein deutsches Dorf, in Oranienburg entsteht Chinatown: Gesine Danckwart und Susanne Vincenz erzählen in den „Ping Tan Tales“ in den Sophiensælen vom verwirrenden Kopieren der Kulturen und von gegenseitigen Projektionen
VON JÖRG SUNDERMEIER
Wir wissen zwar nicht, wie man das ausspricht – Kina? China? Schina? – aber wir reden drüber. Über die Olympischen Spiele, Tibet, Taiwan, den Kommunismus, die Diktatur, Mao, Peking oder Beijing. Dabei wissen wir nicht mal, wer das Land regiert. Die Partei, ja klar. Aber wer ist deren Chef? Sind es am Ende wirklich die Menschen, Maos „Volk“?
In den Sophiensælen heißen sie „diese Dings, diese Chinesen“. Und damit sind wir inmitten des Stücks „Ping Tan Tales“ von Gesine Danckwart (Text & Regie) und Susanne Vincenz (Dramaturgie), das nach den Aufführungen in Berlin in Hamburg und vielleicht sogar in China laufen soll. Wobei Letzteres fraglich ist – denn Danckwart und Vinzenz sparen nicht mit kritischen Anspielungen auf die chinesische Führung.
Von „diesen Dings, diesen Chinesen“ spricht gleich zu Beginn Kristina Brons, die genauso wie Xiao Ke, Mariel Jana Supka, Hu Zi und Marcus Reinhardt ständig in neue Rollen schlüpft. Kaum eine der Figuren hat eine zweite Szene, kaum eine mehr als eine Minute. Und zugleich sind alle fünf Schauspieler höchstpersönlich auf der Bühne anwesend, sind als Schauspieler erkennbar, als Chinese oder als Europäer. Selbst die Kostümwechsel finden vor unseren Augen statt. Das verunsichert.
Noch beim Betreten des Theatersaals hat man das Schlimmste befürchtet. Die Schauspieler sitzen in der Mitte des Raums zwischen durchscheinenden Stellwänden, an beiden Enden des Bühnenraums erwarten Projektionsflächen die Zuschauer. Im Halbdunkel sitzen Techniker an aufgeklappten Rechnern. Oh je, zuckt man zusammen, nun wird es gleich ganz multimedial zur Sache gehen, wird wieder einmal mehr Form als Inhalt geboten. Doch obschon es bald rauscht und knattert und knallt, obwohl das Stellwändegeviert zusehends auseinanderbricht und das Stück sich zunächst im chinesisch-deutsch-englischen Sprachenwirrwarr zu verlieren droht, schwindet die Angst. Denn hier werden die technischen Mittel sinnvoll eingesetzt.
In der ersten Hälfte des Stückes lässt Danckwart ihre Crew sich austoben, sie verwandeln sich mal in einen Wirtschaftsmann, mal in eine Bäckerin, sind mal Chinesin, mal Tourist, mal coole Reisende, mal servil Dienender, mal Militär, mal Tänzerin. Mit allem, was man sich zu China vorstellt, wird man konfrontiert: eine Kakophonie der Vorurteile. Teilweise sind Sätze gar nicht zu verstehen, da sie jemand anderer übertönt. Zeitgleich, damit auch die linke China-Sehnsucht zu ihrem Recht kommt, werden Ausschnitte aus Godards Film „La Chinoise“ eingeblendet. China erkennen wir als Land der Hoffnungen. Und der Zweifel. Und der Projektionen, im doppelten Sinne.
Man steht ja gar nicht falschrum in diesem Teil der Welt, so wie man als Kind glaubte, mit dem Kopf nach unten. Und doch steht man kopf. Denn plötzlich wird die Welt- und Wirtschaftsmacht China, die bei uns noch immer mit Holzhaus und Drachentanz gleichgesetzt wird, in diesem Stück zum Land des Nichtoriginalen – die betulichen Häuschen aus längst vergangener Zeit sind Nachbauten, in Schanghai gibt es ein deutsches Dorf für Deutsche, in Oranienburg entsteht andererseits demnächst ein Chinatown für hier lebende Chinesen. Und alles ist echt und falsch – vor allem aber ist es nicht authentisch.
Darauf wird unsere Identität als Tourist in Frage gestellt. Denn sie haben „unsere“ Häuser, sie essen „unser“ Essen, sie kopieren „unsere“ Kleidung und „unsere“ Popmusik. „Ich bin hier das Original“, muss die empörte deutsche Seele im fremden China brüllen. Doch wer imitiert wen und seit wann? Und wer ist wer? Und wer ist wir? Das wird immer mehr zur Leitfrage des Stückes, sie schält sich immer mehr aus den Szenen heraus.
Am Ende dann, Ensemble und Publikum sind gleichermaßen glücklich erschöpft, fragt ein chinesisches Ensemblemitglied die anderen: „Und wie lebt ihr so? Seid ihr glücklich? Und welche Autos fahrt ihr?“ Er fragt uns zu Recht. Denn bei unserem Bild von China-Schina-Kina geht es vor allem um uns. Und das wird in „Ping Tan Tales“ auf beeindruckende Weise verdeutlicht.
In den Sophiensælen 8.–11. April, 20 Uhr, am 8. 4. mit anschließendem Publikumsgespräch