: Die Früchte des Zorns
Menschliche Ernteroboter: Heute findet der Aktionstag der internationalen KleinbäuerInnen- und Landarbeiter-Organisation Via Campesina (der bäuerliche Weg) statt. In Kreuzberg trifft man sich zu einer „Protestaktion“
Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus geht es nicht über diesen hinaus, sondern zurück in die Barbarei. Deswegen ist „Früchte des Zorns“, der 1939 veröffentlichte, dann verfilmte und mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Roman von John Steinbeck, in dem es um von Gutsbesitzern vertriebene Kleinbauern geht, die sich als Landarbeiter in Kalifornien verdingen, wieder hochaktuell: Weltweit steigt das Überangebot an Erntehelfern und Wanderarbeitern in der Landwirtschaft. Ihre Löhne sind derart gesunken, dass vielerorts sogar auf Erntemaschinen verzichtet wird und stattdessen auch noch Kinder mitarbeiten müssen. So verdienen Baulwollpflücker in Afrika 25 Cent pro Stunde und in Pakistan sowie auch in Indien sogar nur 10 Cent. Allein auf den Bananenplantagen Ecuadors sind nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 30.000 Kinder beschäftigt, die teilweise wie Sklaven gehalten werden. Die Bildung von Gewerkschaften wird rigoros unterbunden, Gewerkschafter werden erschossen, gesetzliche Vorgaben für Höchstarbeitszeiten und Mindestlöhne werden ignoriert. Aber langsam formiert sich der Widerstand.
Heute am 17. April findet erneut ein Aktionstag der internationalen KleinbäuerInnen- und Landarbeiter-Organisation Via Campesina (der bäuerliche Weg) statt. In Berlin trifft man sich zu einer „Protestaktion“ in Kreuzberg. Das anschließende Fest am Heinrichplatz bildet den Abschluss einer Reihe von Veranstaltungen, die gerade stattfanden: Eine Protestaktion auf einem Genversuchsfeld bei Falkenberg, eine Ausstellung im Café Morgenrot, ein Teach-in im Café „Flora Soft“ der landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Uni und ein Infoabend im Café „Lux“ – zum aktuellen Thema „Biosprit macht Hunger“.
La Via Campesina wurde 1993 mit Sitz in Jakarta gegründet, in ihr sind mehr als 100 Kleinbauern-, Landarbeiter-, Landlosen- und Indigenenorganisationen aus Europa, Amerika, Afrika und Asien zusammengeschlossen, darunter die Confédération paysanne in Frankreich, die hiesige Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft und die brasilianische Landlosenbewegung MST. In Berlin wird La Via Campesina unter anderem von der Buko-Kampagne gegen Biopiraterie, dem Genanet sowie der Gendreckweg-Kampagne unterstützt. Hier fand Ende 2007 bereits eine Konferenz der Europäischen Föderation der Gewerkschaften für den Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Tourismussektor (EFFAT) statt, auf der es um die Europäische Agrarpolitik ging. Der Beitrag der deutschen IG BAU (Bauen Agrar Umwelt) befasste sich mit der Situation der Landarbeiter in Europa, denen in der europäischen Landwirtschaft eine „wachsende Bedeutung“ zukomme und die deswegen in der Agrarpolitik stärker berücksichtigt werden müssen, es sollten etwa soziale Standards bei der Zertifizierung von Agrarunternehmen eine Rolle spielen. Die Gewerkschaft beteiligte sich bereits 2004 an der Gründung des „Europäischen Verbandes der Wanderarbeiter“. Der EVW geht von 300.000 legalen Erntehelfern allein in der deutschen Landwirtschaft aus, hinzu kommen noch einmal so viele Illegale. Angesichts der guten Gewinnaussichten der Unternehmen in der Landwirtschaft fordert die IG BAU in den anstehenden Tarifverhandlungen der Branche 5,5 Prozent mehr Lohn für die knapp 100.000 tarifgebundenen Agrarbeschäftigten. „Arbeitnehmer, die ständig in der Landwirtschaft beschäftigt sind, müssen an der positiven Entwicklung beteiligt werden – und zwar überproportional“, sagte IG-BAU-Verhandlungsführer Hans-Joachim Wilms. „Landarbeiter verdienen rund 30 Prozent weniger als vergleichbare Industriebeschäftigte.“
In Deutschland müssen die Landwirtschaftsbetriebe als Erntehelfer mindestens 10 Prozent Arbeitslose einstellen. Doch diese versuchen, der stumpfsinnigen und schlecht bezahlten Akkordarbeit zu entkommen. Jedes Jahr sind deswegen die Zeitungen voll mit Drohungen wie „ Der Spargel verrottet auf den Feldern“ oder – weil jetzt schon die Polen wegbleiben – „die Gurken vergammeln auf dem Feld“. Derweil expandieren die Großagrarier dabei ins Ausland. Sie wollen das ganze Jahr über ernten – im Sommer im russischen Norden und im Winter bis nach Marokko. Allein der norddeutsche „Salatkönig“ Rudolf Behr beschäftigt 6.000 Erntearbeiter, sein Imperium reicht von Rumänien über Kroatien bis Spanien, und seine Erntehelfer sollen künftig wie die mexikanischen Wanderarbeiter in den USA dem Erntezyklus folgen. Sie wollen sich aber nicht „mexikanisieren“ lassen. In der Zeit und in den Springerblättern müssen sich speziell seine deutschen Erntehelfer als Drückeberger beschimpfen lassen. In den USA kämpfen sie immer wieder um höhere Löhne, deswegen arbeitet man dort hektisch am Einsatz von Ernterobotern. HELMUT HÖGE