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Archiv-Artikel

Einigung über Anti-Asyl-Listen erschwert

EU-Gericht verlangt die Beteiligung des Europäischen Parlaments an der Erstellung von Listen sicherer Herkunfts- und Transitstaaten. Damit dürfen EU-Innenminister nicht mehr allein entscheiden. Pro Asyl: Wettlauf der Schäbigkeiten gebremst

DEUTSCHLAND KENNT NUR ZWEI „SICHERE DRITTSTAATEN“

In Deutschland werden seit 1993 Asylanträge in der Regel nicht mehr geprüft, wenn der Antragsteller aus einem gesetzlich definierten „sicheren Herkunftsstaat“ kommt oder durch einen „sicheren Drittstaat“ eingereist ist. Das Bundesverfassungsgericht hat das Konzept sicherer Herkunfts- und Drittstaaten im Jahre 1996 akzeptiert. Deutschland betrachtet inzwischen nur noch zwei Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“: Ghana und Senegal. Früher standen auch osteuropäische Staaten wie zum Beispiel Bulgarien und Rumänien auf der Liste, doch diese Länder gelten seit ihrem Beitritt zur EU 2007 automatisch als Länder ohne politische Verfolgung und brauchen daher nicht gesondert auf einer Liste zu stehen. Kurz ist auch die Liste der „sicheren Drittstaaten“: Schweiz und Norwegen. Abgesehen davon gilt in allen EU-Staaten die sogenannte Dublin-II-Verordnung: Das Asylverfahren ist in dem EU-Staat durchzuführen, in dem der Flüchtling sich zuerst aufhielt. CHR

VON CHRISTIAN RATH

Das Europäische Parlament hat künftig ein Vetorecht, wenn die EU asylrechtliche Listen „sicherer“ Herkunfts- und Transitstaaten erstellen will. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Pro Asyl forderte das Parlament gestern auf, solche Listen zu verhindern.

Seit dem Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft trat, ist die EU auch für das Asylrecht zuständig und kann Mindeststandards festlegen. In den letzten Jahren hat die EU in Richtlinien definiert, wann Flüchtlinge in welchem Verfahren Asyl erhalten sollen und welche sozialen Rechte sie mindestens haben müssen. Die Standards hielten sich meist auf akzeptablem Niveau.

Für Proteste sorgte allerdings die Richtlinie zum Asylverfahren, die 2005 beschlossen wurde. Nach deutschem Beispiel (siehe Kasten) sah sie die Erstellung von Listen sicherer Herkunfts- und Drittstaaten vor. Wer aus einem der dort genannten Staaten kommt oder über einen der Drittstaaten nach Europa reist, soll kein oder nur ein beschleunigtes Asylverfahren erhalten.

Gegen diese Vorschrift klagte das Europäische Parlament. Es lehnte dabei die Erstellung solcher Listen nicht grundsätzlich ab, wollte jedoch mitentscheiden. Dieses Veto-Recht hat ihm nun der Europäische Gerichtshof eingeräumt.

Der EuGH stützte sich dabei auf Artikel 63 des EG-Vertrags. Danach mussten die EU-Innenminister bis 2005 alle wesentlichen Mindeststandards zum EU-Asylrecht einstimmig und ohne Mitbestimmung des Europäischen Parlaments beschließen. Für alle weiteren Entscheidungen sind dagegen Mehrheitsbeschlüsse mit Vetorecht des Parlaments vorgesehen. Weil sich der Ministerrat damals aber nicht über die Listen einigen konnte, schrieb er in die Richtlinie eine Möglichkeit, später mit Mehrheit – aber ohne das Parlament – die Listen festzulegen.

Wie der EuGH gestern entschied, kann der Ministerrat aber nicht einfach die vom EG-Vertrag festgelegten Regeln nach seinem Gusto ändern. Bei der Festlegung von sicheren Herkunfts- und Drittstaaten handele es schließlich um „wesentliche“ Fragen und nicht um bloße Durchführungsbestimmungen. Künftig muss also das Europäische Parlament im Verfahren der Mitentscheidung an der Erstellung der Listen beteiligt werden.

Eine Einigung über sichere Herkunfts- und Durchreisestaaten wird damit noch schwieriger. Selbst in den letzten drei Jahren war es den EU-Staaten nicht gelungen, sich mehrheitlich auf eine Liste zu einigen. So gab es nicht nur zwischen den EU-Staaten Differenzen, welche Staaten als verfolgungsfrei eingestuft werden und welche Transitstaaten die Rechte von Flüchtlingen achten. Auch die betroffenen Staaten selbst mischten in der Diskussion kräftig mit, denn alle wollten als „sicher“ eingestuft werden. „Und aus diplomatischer Rücksicht auf die Staaten, die nicht auf der Liste der sicheren Staaten stehen können, kommt man dann zu dem Ergebnis, dass man überhaupt keine Liste aufstellt“, berichtete einmal Innenminister Wolfgang Schäuble über die Verhandlungen.

Pro Asyl befürchtet, dass die EU auch rechtsstaatlich zweifelhafte Staaten wie Weißrussland, die Ukraine, Libyen und Mauretanien zu sicheren Drittstaaten erklären könnte. „Europa wird seiner Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nicht gerecht, wenn es künftig Schutzsuchende schon an seinen Grenzen – ohne jedes Verfahren – in solche Staaten zurückschickt und hofft, dass diese dort ein ordentliches Asylverfahren bekommen“, warnt Marei Pelzer, Pro-Asyl-Rechtsexpertin. „Das EuGH-Urteil bremst zum Glück diesen Wettlauf der Schäbigkeiten“, so Pelzer.